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Archiv-Artikel

Romantiksuche im Kohlenpott

Mit Kultur den Malochern ihre Würde zurückgeben. Jürgen Flimm stellt in der Jahrhunderthalle sein Programm für die RuhrTriennale vor. Andrea Breth, Patti Smith und Otto Schily kommen

AUS BOCHUM PETER ORTMANN

Regie-Altmeister Jürgen Flimm ist der neue Chef der RuhrTriennale. Der Pointenkönig der Theaterszene begann die Vorstellung seines Programms mit einer Anekdote: Einer der bedeutendsten deutschen Theatermänner sitzt mit ihm in einer verrauchten Berliner Kneipe und stöhnt. „Ick bin een Looser, ick bin een Looser“. Volksbühnen-Intendant Frank Castorf hat Heimweh nach dem Ruhrgebiet. Flimm kann helfen. Der Regiestar, der nur ein Jahr bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen überlebte, darf an der zweiten Auflage des Kultur-Leuchtturms teilnehmen – mit der Inszenierung „Meine Schneekönigin“ nach Hans Christian Andersen. Wer das Gespann Frank Castorf/ Bert Neumann kennt, weiß, warum das ein romantisches Märchen nur für Erwachsene wird. Kinder dürfen nur in Begleitung von Erziehungsberechtigten rein.

Romantik ist die Headline über der ersten Spielzeit unter Flimm. Allein acht Uraufführungen von Auftragswerken sollen von August bis Oktober Besucher in die restaurierten Industriespielorte locken. Die von Gründungsintendant Gerard Mortier im letzten Jahr angewandte Reduzierung der Spielstätten ist aufgehoben. Flimm setzt wieder auf Fläche. Die insgesamt 118 Veranstaltungen verteilen sich auf sage und schreibe 13 Spielorte, darunter Newcomer wie das Theater an der Ruhr in Mülheim oder die Flottmann-Hallen in Herne. Möglich wird das durch die Uraufführung der Operette „Das trojanische Boot“, die auf Tour durchs Ruhrgebiet geht. Hier kommt wieder Flimms rheinischer Hang zur Kneipenszene zum Vorschein. Das Wiener Bläserseptett Mnosil Brass, laut Intendant die „Monty Python der Musik“, haben sich im Heurigenviertel formiert, um ihr Bier bezahlen zu können. Im trojanischen Boot müssen sie dafür singen, tanzen und blasen.

Andrea Breth kommt mit einer Werkschau zurück ins Revier. Die Hausregisseurin des Wiener Burgtheaters arbeitete vier Jahre lang am Bochumer Schauspielhaus. Sie eröffnet mit ihrer Inszenierung von „Nächte unter Tage“ nach Texten von Albert Ostermaier die RuhrTriennale. Für die szenische Installation in der Kokerei Zollverein arbeitet sie mit dem französischen Künstlerstar Christian Boltanski und dem französischen Lichtdesigner Jean Kalman zusammen. Als zusätzliches Paket werden ihre Wiener Inszenierungen von Lessings „Emilia Galotti“ sowie Schillers „Maria Stuart“ zu sehen sein. Auch bei den Ruhrfestspielen wird das Schiller-Stück im nächsten Monat unter der Regie von Michael Thalheimer zu sehen sein. „Schauen sie sich beide Inszenierungen an, vergleichen sie und wundern sie sich nicht über das Ergebnis“, sagt Flimm.

Fürs Literaturprogramm kommt der Bundesminister des Innern Otto Schily (SPD). Zusammen mit seiner Tochter Jenny liest er bei „Schule der Romantik“. Dafür wird ein ganzes Klassenzimmer in der Bochumer Jahrhunderthalle aufgebaut. „Mit Schultischen, Wandtafel und Pausenbrot“, sagt Thomas Oberender. Der Chefdramaturg des Bochumer Schauspielhauses zeichnet für die Heine-Reihe unter romantischen Aspekten verantwortlich. Das musikalische Highlight der von der Mortier-Ära erhalten gebliebenen Century of Song Reihe setzt die amerikanische Rockpoetin Patti Smith, sie spielt beim Eröffnungsfest.

Romantisch inspiriert wurde Flimm bei seinen „Käthchen von Heilbronn“-Dreharbeiten im Duisburger Landschaftspark Nord. Während zu Zeiten der deutschen Romantik woanders die Mühle am rauschenden Bach klapperte, hätte man an der Ruhr angefangen, die Natur auszubeuten. Es folgte ein Zeit, bezahlt mit dem Blut, Schweiß und Elend der Arbeiter. Jetzt wolle man ihnen „durch Kultur an den ehemaligen Arbeitsstätten ihre Würde zurückgeben“, so Flimm.