: Angeschwollener Bocksgesang
SO36 Mit Verordnungen zum Lärmschutz wird der Kreuzberger Traditionsclub bedrängt. Sein Ende hätte eine Signalwirkung auf die Gentrifizierungsdebatte, die Berlin immer heftiger durchrüttelt
VON ANDREAS HARTMANN
„SO36 bleibt“ – in jedem zweiten Laden in der Oranienstraße hängt inzwischen ein Plakat mit dieser Protestnote. Kampagnen-T-Shirts werden verkauft, die ersten Soliveranstaltungen fanden bereits statt, langsam rüstet sich das SO36 zum Widerstand, denn das eigentlich Unvorstellbare könnte wahr werden: das Ende des SO36.
Was vor ein paar Monaten als Kreuzberger Schote begonnen hat, als Versuch, den Kiez der Punker und Türken, der Künstler und Lebenskünstler, der 1.-Mai-Krawalle und Kotti-Fixer durch Lärmschutzverordnungen zu stuttgartisieren, hat sich zur ernsten Bedrohung des Traditionsclubs ausgeweitet. Der wollte dieses Jahr eigentlich seinen dreißigsten Geburtstag feiern.
Ein überempfindsamer Nachbar – ein einziger wohlgemerkt, niemand sonst in der Nachbarschaft des SO36 beschwert sich über Ruhestörungen – und eine renitente Hausverwaltung sind gerade dabei, das SO36 abzuwickeln. Noch sind die Reaktionen auf diese Provinzposse in der Hauptstadt verhalten. Weil noch niemand glauben kann, dass Derartiges möglich sein könnte, ausgerechnet in Kreuzberg. Doch man kann sicher sein, dass ein Ende des SO36 eine Signalwirkung auf die Gentrifizierungsdebatte hätte, die Berlin immer heftiger durchrüttelt.
Ein Stück Punkgeschichte
Denn das SO36 ist nicht nur ein Berliner Mythos, dem in Filmen Denkmale gesetzt wurden und den Touristen aus aller Welt besuchen, weil er ein Stück Punkgeschichte ist. Sondern der Veranstaltungsort symbolisiert Kreuzberg, seinen widerständigen Charme, seine Offenheit, wie kein anderer Ort im Kiez. „Hier treffen sich arabische Jugendliche bei Queer-Partys“, so Nezaket Seven vom Imbiss Oregano gegenüber vom SO36, „der Club macht die Straße lebendig, ohne das SO36 ist hier Totentanz.“ Die Bedienung von der Kneipe Franken nebenan sagt: „Fragen Sie irgendjemanden hier, alle werden ihren Unmut äußern über das, was gerade mit dem SO36 läuft.“ Ein tätowierter Altkreuzberger, der gerade im Oregano hockt, spricht gar von Krieg. Nein, sogar „schlimmer als Krieg wird es“, sagt er, falls das SO36 dichtmachen muss. Im Potsdamer Platz werde man einfallen, so sein Szenario, und alles kurz und klein hauen.
Begonnen hat es mit dem angeschwollenen Bocksgesang rund um das SO36 klammheimlich. Für den 2. Dezember 2008, es trat die schwedische Polit-Punkband The International Noise Conspiracy auf, hatte sich einer der Nachbarn des Clubs jemanden vom Ordnungsamt in seine Küche bestellt, deren Fenster in Richtung SO36 geht. Der ermittelte, ob die Klage über Lärmbelästigung berechtigt ist, ob der Mann sich tatsächlich nachts die Ohren zuhalten muss, wenn er in seiner Küche meditieren oder schlafen möchte. Das Ergebnis war: Ja, unzumutbar. Bei 48 Dezibel schlug das Gerät aus, 45 wären erlaubt gewesen.
Damit war klar: Nach 30 Jahren ist das SO36 plötzlich drei Dezibel zu laut. Wie kommt so etwas? Das kommt daher, dass Gentrifizierung in Berlin nicht mehr bloß ein schleichender Prozess ist, sondern sich manchmal auch über ganze Bezirke wie eine Dunstglocke legt. In Kreuzberg 36, so erklären Nanette Fleig und Henning Sedlmeir vom SO36, gälten jetzt eben nicht mehr die Höchstwerte für ein Teilgewerbegebiet, also 50 Dezibel, sondern die eines Wohnmischgebiets, also 45 Dezibel.
Anruf beim Ordnungsamt Kreuzberg-Friedrichshain, Frage: Was läuft da eigentlich in Kreuzberg 36? Kein Kommentar, heißt es dort, man hätte mit dem SO36 Stillschweigen gegenüber der Presse vereinbart. Eine Lösung der Probleme sei in Sicht. Beim SO36 weiß niemand etwas von dem Stillschweigeabkommen, und eine Lösung der Probleme mag man auch nicht sehen.
Antiakustischer Schutzwall
Denn längst ist nicht mehr bloß der lärmempfindliche Nachbar das Problem, sondern die Hausverwaltung des SO36. Nachdem der Nachbar sich nicht mehr verhandlungsbereit zeigte, kam man auf die Idee mit der Schallschutzmauer. Die soll an der Ostseite des SO36 hochgezogen werden, außen, einen Meter dick, ein „antiakustischer Schutzwall“, so Nanette Fleig. „Mit dem Kindergarten, auf dessen Grundstück die Mauer errichtet werden soll, haben wir uns bereits geeinigt“, erklärt sie.
Die Kosten für die Mauer, etwa 80.000 Euro, wurden zwar noch nicht vom Bezirksamt bewilligt, aber die Geldfrage ist jetzt weniger dringlich als die, ob die Hausverwaltung überhaupt grünes Licht für den Bau der Mauer geben würde. Im Moment sieht es nicht so aus. Das SO36 wird von Retus verwaltet, einer im Kiez inzwischen gefürchteten Hausverwaltung, die in ihren Objekten an der Oranienstraße die Mieten fast nach Belieben erhöht.
Simone Stober, Chefin von Retus, ist für eine Stellungnahme gerade nicht zu haben. Retus ist im Urlaub, bis Ende August. Dem Tip sagte Frau Stober, sie glaube nicht, dass die Mauer überhaupt etwas brächte, und gab zu verstehen, dass sie es in der Oranienstraße in Zukunft gerne etwas ruhiger hätte. „Es wird nie wieder ein Nachtclub da einziehen.“
„Dreh ma lauter“ steht auf dem Transparent, das im SO36 über dem Tresen aufgehängt wurde.
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