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Archiv-Artikel

Juristische Nachwehen eines Arbeitskampfs

Betriebsrat Turhan Ersin soll während des Opel-Streiks Kollegen genötigt haben. Deshalb will ihm sein Arbeitgeber kündigen. Zu Prozessbeginn müssen die Arbeitsrichter jedoch zunächst klären, wer wirklich Ersins Arbeitgeber ist

BOCHUM taz ■ Der Vorschlag, mit Rücksicht auf die Zuhörer auf der Straße doch mit geöffneten Fenstern zu tagen, wurde abgelehnt. Und so mussten gestern etwa 30 Opelaner mit ihren Flugblättern und Transparenten vor der Tür warten, während im übervollen größten Sitzungssaal des eher beschaulichen Bochumer Arbeitsgerichts die fristlosen Kündigung gegen den Betriebsrat Turhan Ersin verhandelt wurde (Aktenzeichen: A BV 64/04).

Opel gegen Ersin: Die Bochumer Richter müssen nicht nur die Zukunft eines Betriebsrats diskutieren, sondern auch den wilden Streik der Belegschaft im vergangenen Oktober. Denn in diese Zeit fällt Ersins Vergehen. „Nötigung und Bedrohung von Kollegen“ wirft ihm das Unternehmen vor, weil er in den chaotischen ersten Stunden des Streiks mit einem Vorgesetzten aneinander geraten ist. „Dein Gesicht merke ich mir“, soll Ersin gesagt haben. Für Opel ein Kündigungsgrund. Mindestens aber soll Ersin aus dem Betriebsrat ausgeschlossen werden, weil er in einem Interview die Kollegen aufgefordert hatte, Mehrarbeit abzulehnen, bis seine Kündigung vom Tisch sei. Viele Kollegen halten Ersin für ein Bauernopfer. „Schluss mit den Repressalien gegen Opelaner“, heißt es auf einem Spruchband vor dem Gericht.

Schnell wird Opel seinen Betriebsrat jedoch nicht los, das ist das Hauptergebnis des ersten Verhandlungstages. Denn das Unternehmen hat einen Formfehler gemacht: Beantragt wurde die Kündigung nur von der Adam Opel AG allein. Das Werk Bochum betreibt die Firma jedoch mit zwei Partnern, die aus dem mittlerweile beendeten Joint-Venture mit Fiat übrig geblieben sind: Die GM-Fiat Worldwide Purchasing GmbH und die Opel Powertrain GmbH (siehe Kasten). Beide Firmen, so entschied der Vorsitzende Richter Dieter Vermaasen, müssen im Verfahren gehört werden.

Ob beide Firmen den Kündigungsantrag hätten unterschreiben müssen, ist jedoch offen: Sollte das Gericht beim nächsten Verhandlungstermin zu diesem Schluss kommen, wäre die Kündigung wegen Fristüberschreitung vom Tisch. „Präzedenzurteile gibt es dazu nicht. Das könnte bis zum Bundesarbeitsgericht gehen“, so Vermaasen. Das kleine Bochumer Arbeitsgericht könnte „Rechtsgeschichte“ schreiben, fügte er lachend an.

Turhan Ersin hofft jedoch nicht nur auf Formfehler, sondern sieht sich auch in der Sache im Recht. „Ich habe nichts Verwerfliches getan“, sagte er schon im November der taz. Unterstützt wird er vom Opel-Betriebsrat: Mit 37 zu Null Stimmen lehnte die sonst so zerstrittene Arbeitnehmervertretung die Kündigung ab. „Wir gehen kein Komma von unserer Einschätzung ab“, sagte der Vorsitzende Rainer Einenkel nach der Verhandlung. „Das ist kein Angriff auf einen Betriebsrat, sondern auf das gesamte Gremium.“KLAUS JANSEN