Kleines Schiff im Wind

FOLKROCK Unter den vielen jungen Männern mit Gitarre unterm Arm gehört er zweifellos zu den talentierteren: Max Prosa

Radikal poetisch sind seine Lieder. Das klingt zwar bisweilen selbstverliebt, aber hier ruht großes Potenzial

VON THOMAS WINKLER

So ein junger Mann braucht Orientierung. Max Prosa glaubt an Leonard Cohen, Tom Waits und an Bob Dylan. Vor allem an Bob Dylan. Das sieht man sofort, wenn man ihm begegnet. Denn zum Interview erscheint der 21-Jährige behängt mit Tüchern und einer Mütze über den wilden Locken. Seine Zigaretten raucht er ausschließlich selbst gedreht, in der Manteltasche transportiert er einen Gedichtband, seinen Kaffee trinkt er schwarz und süß. Ein früher, unvollendeter Dylan, mitten in Neukölln.

Hier, am Rande des Bezirks, der gerade vehement aufgewertet wird, hat Prosa eine Bleibe gefunden. Aufgewachsen ist er allerdings in Charlottenburg. Damals hieß er noch nicht Prosa, sondern Podeschwig, baute sein Abitur mit 17 Jahren, brach das „Alibistudium“ der Physik, das er nur seinen Eltern zuliebe begonnen hatte, wieder ab, und auch die Philosophie betrieb er nur halbherzig. „Als ich wusste, dass ich Musik machen wollte“, erzählt er, „bin ich nur auf Unverständnis gestoßen.“ Da hat sich einer das Recht, kreativ zu sein, erkämpfen müssen.

Mittlerweile aber hat sich Max freigekämpft und in Prosa umbenannt. Er hat den Popkurs in Hamburg belegt, war Mitglied im Bandpool der Popakademie Mannheim und hat sich bei „Sago“, Christof Stählins „Schule für Poesie“, weitergebildet. Vor allem aber ist er nach einigen Umwegen im Zughafen in Erfurt gelandet. Dort hat er eine künstlerische Heimat gefunden und in Clueso, dem Initiator des Zughafens, einen Mentor.

Dank Erfurt, wo Prosa zwei bis drei Tage pro Woche ist, ist aus dem jungen Mann mit den großen Vorbildern nun so etwas wie ein Hoffnungsträger geworden. Eben bescheinigte sogar die Zeit Prosa eine Perspektive. „Der Junge mit der Gitarre wird bleiben“, befand man in Hamburg. In Charlottenburg wird das die Eltern, die bislang am Wege ihres Sohns gezweifelt haben, vielleicht ein bisschen entspannt haben.

Man kann sie beruhigen: Der Max wird das schon schaffen. Unter den vielen jungen Männern, die gerade mit einer Gitarre unterm Arm auftauchen, gehört er zweifellos zu den talentierteren. Zwar überfrachtet Prosa seine Lieder bisweilen mit Metaphern, aber seiner Band gelingt es, den jugendlichen Übermut ihres Sängers mit entspanntem Folkrock sanft abzufedern. Das ist auch nötig: Denn die Helden seiner Songs sind „zerlumpte Clowns, die ihre eigenen Schatten jagen“, sie sind „tief im Gefängnis der Welt gefangen“, müssen aber, wenn sie flüchten wollen, feststellen, dass ihnen nur „Flügel aus Beton“ zur Verfügung stehen.

Aber sosehr Prosa auch manchmal übers Ziel hinausschießt, so radikal poetisch sind seine Lieder, wenn man Poesie als konsequente Überhöhung des Privaten versteht. Das klingt zwar bisweilen selbstverliebt, aber man darf feststellen, dass hier großes Potenzial ruht. Oder doch zumindest großer Mut, sich an den Besten, nur den Allerbesten zu orientieren, Prosa ist ein gutes Stück in die richtige Richtung vorangekommen. „Ich verstehe nicht, dass viele Leute Halbtagskünstler sind noch zur Uni gehen, nachmittags Songs schreiben, auf sicher gehen“, sagt er, während er sich noch eine Zigarette dreht. Er glaubt fest daran, dass man alles wagen muss, „dann wird sich der Weg schon herauskristallisieren“.

Prosas Mentoren aus dem Erfurter Zughafen haben dafür gesorgt, das dieser Weg in halbwegs geordneten Bahnen verläuft, dass das Talent nicht verheizt, nicht „verwurstet wird“, wie es Prosa selbst formuliert. Sein Debütalbum, „Die Phantasie wird siegen“, ist ein paarmal verschoben worden, weil man den richtigen Moment abwarten wollte, um ihn auf dem Markt zu platzieren. Man hat ihn ein paar zusätzliche Erfahrungen sammeln und ein paar Lieder mehr schreiben lassen.

Nun wird man sehen, ob das klappen wird mit dem geduldigen Aufbau. Prosa selber könnte das noch verhindern. Unfreiwillig. Denn mit dem Lockengebirge auf seinem Kopf sieht er einfach zu gut aus, um nicht von Teenagermagazinen entdeckt zu werden. Dann könnte Prosa, ob er das will oder nicht, die Kollegen Tim Bendzko und Philipp Poisel zur deutschen Mädchenschwarmdreifaltigkeit vervollständigen. Er selber macht sich darüber nicht die großen Gedanken. Max Prosa hat, trotz seiner jungen Jahre, schon eine erstaunliche Abgeklärtheit entwickelt. Er sieht sich und seine Band, der er den sperrigen Namen „Gemeinschaft der freien musikalischen Liebe“ gegeben hat, als „ein kleines Schiff im Wind – und wir werden sehen, wo es ankommt“. Da braucht einer Orientierung.

■ „Die Phantasie wird siegen“ (Columbia/Sony Music), live am 20. 2. im Lido (verlegt vom Magnet). Konzert ist ausverkauft