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Archiv-Artikel

Nichts verbrochen, trotzdem im Knast

ABSCHIEBEHAFT Sie tragen Gefangenenkleiung, haben nur wenige Stunden Hofgang, kaum Besuch – wer abgeschoben werden soll, wird in Deutschland oft wie ein Straftäter behandelt. Das ist rechtswidrig

BERLIN taz | Das EU-Recht ist eindeutig: Abschiebehaft und Strafvollzug dürfen nicht vermischt werden. Das fordert die EU-Rückführungsrichtlinie, die Deutschland bis 2010 hätte umsetzen müssen. Doch geschehen ist dies nicht, wie eine neue Dokumentation der friedenspolitisch engagierten Martin-Niemöller-Stiftung und Menschenrechtsorganisation Pro Asyl zeigt.

„Deutschland ignoriert, dass Abschiebehaft nicht im Strafvollzug stattfinden darf“, heißt es in der Dokumentation. Nur fünf Bundesländer haben separate Abschiebehaftanstalten. In Justizvollzugsanstalten haben Abschiebehäftlinge oft nur zwei Stunden Hofgang, sehr eingeschränkten Zugang zu Telefonen und müssen teils Gefangenenkleidung tragen. Laut dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst dürfen sie etwa in der JVA München nur vier Stunden im Monat Besuch empfangen. Im Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick, wo kein Strafvollzug stattfindet, darf täglich Besuch kommen.

„Das ist nicht hinzunehmen. Auch in Haft bedürfen weitere Eingriffe in die persönliche Freiheit einer Rechtfertigung“, sagt Michael Karg von der Martin-Niemöller-Stiftung. „Haftvermeidung und Alternativen zur Haft wären der weitaus größte Beitrag zur Verminderung des Elends“, so Bernd Mesovic von Pro Asyl. Für jede Abschiebehaft gelte, dass es nur sehr selten unabhängige Rechtsberatung gebe, von Fachanwälten ganz zu schweigen. Mesovic forderte, unabhängigen Beratungsstellen Zugang zu den Abschiebehäftlingen zu gewähren und die Kosten für den juristischen Beistand zu übernehmen. Abschiebehäftlinge, die juristisch gegen ihre Haft vorgehen, müssten in etwa einem Drittel der Fälle aufgrund einer Gerichtsentscheidung freigelassen werden.

Die Suizidrate ist unter Abschiebehäftlingen im Vergleich zu Strafgefangen in Deutschland sehr hoch. Ende 2011 hatte auch das Anti-Folter-Komitee der Vereinten Nationen CAT die deutsche Praxis kritisiert. Immer wieder würden Minderjährige, traumatisierte Menschen, Folteropfer und psychisch kranke Menschen in Abschiebehaft genommen. CHRISTIAN JAKOB