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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Eigeninitiative entwickeln

■ betr.: „Das Amt hat seine Würde zurück“, taz vom 18. 2. 12

Unreflektiert betrachtet mag die öffentliche Diskussion um Christian Wulff den Versuch erwecken, die Würde des höchsten Staatsamtes verteidigen und wahren zu wollen. Aber reflektiert man die ohnehin nicht mehr verlässlichen Werte einer Zweiklassenpolitik, die so viele wirtschaftlich fragwürdige Interessen rettet, wird deutlich, dass ihr vor allem eines nicht mehr zugetraut wird: die Interessen der Menschen an der Basis zur Kenntnis zu nehmen und zu vertreten.

Christian Wulff bestätigte nunmehr das wachsende Misstrauen der Menschen in die Politik, weil Worte allein offensichtlich nicht mehr ausreichen, um den Unmut der Menschen zu besänftigen. Die stetig wachsenden Demonstrationen von nicht regierenden Organisationen sind nur ein Beispiel dafür, dass politisches Handeln – wenn es den Vertrauensvorschuss verliert, aber nicht in der Lage ist, die entsprechenden Konsequenzen daraus zu ziehen – wirkungslos bleibt. Und so bleibt nur die Wahl zwischen Politikverdrossenheit und Eigeninitiative. Letztere beginnt sich gerade zu entwickeln und vielleicht auch auszuwirken – hoffentlich weit über die politischen Grenzen hinaus. BIANKA NAGORNY, Neumünster

Nur Männer im Kopf

■ betr.: „Es ist Zeit für eine Frau“ u. a., taz vom 20. 2. 12

Danke, es war ja schon peinlich, dass zwar alle sich bemühten, „Kandidat und Kandidatin“ zu sagen, aber nur Männer im Kopf und in der Hinterhand hatten. Also wieder ein männlicher Präsident – und ich dachte immer, aufgewärmt wäre nur was für den „Sauerkohl“, wie wir ja als Kinder bei Wilhelm Busch lernten …

JUTTA WEGENER, Saarbrücken

Sachpolitik statt Symbolpolitik

■ betr.: „Es ist Zeit für eine Frau“ u. a., taz vom 20. 2. 12

Sachpolitik?! Nein, stattdessen diskutiert die deutsche Öffentlichkeit mal wieder über die Moral von PolitikerInnen und die Beschädigung von symbolischen Ämtern. Stattdessen stellen sich Parteispitzen nacheinander vor die nach Drama lechzende Presse, um uns die Neuigkeit zu verkaufen, dass die Regierungsparteien zerstritten sind und die Opposition geduldig auf Neuwahlen wartet. Stattdessen einigt man sich darauf, dass Wulff für steigende Politikverdrossenheit in der Bevölkerung verantwortlich sei und Gauck – mit einer Wahl, die explizit eine Partei ausschließt – sich auch um die Vertretung der marginalisierten Gruppen des Staates kümmern sollte.

Die Parteienvertreter sollten aufhören, über das Präsidentenamt zu urteilen, und stattdessen darüber nachdenken, welchen Anteil sie an der Politikverdrossenheit in der Bevölkerung haben. Am besten mit Sachpolitik statt Symbolpolitik. GERGELY RÁCZ, Mainz

Opportunistische Politik

■ betr.: „Gauck noch mal“, taz.de 19. 2. 12

Unabhängig davon, dass Gauck eine gute Wahl ist, finde ich es ekelhaft, wie die FDP wieder mal versucht hat, aus ihrem Umfragetief herauszukommen – ein Lehrstück für opportunistische Politik. Ich hoffe sehr, dass dieser Schuss für Rösler & Co nach hinten losgeht. Gespannt bin ich auf die Retourkutsche von Angela Merkel, der der Ärger über ihren Koalitionspartner bei der Pressekonferenz in ihrer Mimik abzulesen war. MICHAEL FICKINGER, Wolfstein

FDP setzt sich durch

■ betr.: Gauck noch mal“, taz.de 19. 2. 12

Endlich einmal hat die FDP nicht Klientelpolitik gemacht, sondern sich im Interesse des deutschen Volkes mit Joachim Gauck auf einen allseits geschätzten, ehrenwerten Kandidaten festgelegt und damit die Richtung des parteiübergreifenden Gesprächs im Kanzleramt bestimmt. Zum Glück hat die Kanzlerin dieses Mal – wenn auch nur zähneknirschend – eingesehen, dass das Präsidentenamt nicht parteipolitischen Ränkespielen geopfert werden darf. Ob der FDP diese Entscheidung allerdings bei der nächsten Bundestagswahl über die 5-Prozent-Hürde helfen wird, wage ich zu bezweifeln.

ECKARD WENDT, Stelle

Eine steile These

■ betr.: Präsidenten in spe. Der Moralische“, taz vom 20. 2. 12

Philipp Gessler erwähnt die gute Bekanntschaft Wolfgang Hubers und seines Vaters Ernst-Rudolf Huber mit Richard von Weizsäcker und leitet unter anderem daraus ab, es entspräche „fast einer Familientradition“, wenn Huber deutsches Staatsoberhaupt würde. Das wird uns ja nun zum Glück erspart bleiben. Trotzdem ist angesichts dieser Lobhudelei darauf hinzuweisen, dass Hubers Vater einer der führenden Vertreter der nationalsozialistischen Staatsrechtslehre war. Die unrühmliche Rolle Ernst von Weizsäckers im Auswärtigen Amt dürfte mittlerweile ebenfalls hinreichend bekannt sein. Weder Huber noch von Weizsäcker sind für Verblendung, Feigheit und Fehlverhalten ihrer Väter verantwortlich. Aber Veranlassung zu kritischer Reflexion der eigenen Familiengeschichte dürfte in beiden Fällen doch wohl bestehen. Dass soziale Nähe innerhalb des deutschen Großbürgertums für die Übernahme öffentlicher Ämter in der Bundesrepublik qualifizieren sollte, ist vor diesem historischen Hintergrund eine steile These. MECHTHILD STROBACH, Münster