: Oper ist kein Verbrechen
Eine von Inhaltsschrott befreite Anti-Oper kann sich in die Länge ziehen: Am Samstag hatte „iOpal“ von Hans-Joachim Hespos und Anna Viebrock in Hannover Uraufführung
Vielleicht ist er so etwas wie ein Arno Schmidt der Neuen Musik: Hans-Joachim Hespos. Der Musimacher, 1938 in Emden geboren, war ursprünglich Lehrer für Arbeitslehre. Er lebt in Ganderkesee und pflegt das Image des Eigenbrödlers. In seiner Klause hat er seine Zettelkästen angelegt, pflegt die konsequente Kleinschreibung und häuft ein Werk aufs andere. Rund 200 Arbeiten hat er im Selbstverlag veröffentlicht – Partituren, Gesangs- oder Spielvorlagen, die sich oft wie Parodien dessen ausnehmen, was der offiziöse Betrieb der Neuen Musik hervorbringt. In den letzten Jahren entwickelte er als Composer in Residence der Staatsoper Hannover „iOpal“. Das beansprucht, „große Oper“ zu sein.
Deren Personal, Instrumentarium und Rituale sind Gegenstand dieses abendfüllenden Werks, das auf Handlung und Libretto vollständig verzichtet. Hespos unterstreicht noch einmal eine der grundsätzlichen Erkenntnisse des 20. Jahrhunderts bezüglich Musik und Theater: dass so gut wie alle Erzeugung von Tönen als theatral angesehen werden kann – von der Bedienung der Piccoloflöte oder der Tuba bis zum Chorgesang, Steinklopfen oder Plätschern im Wasser.
„iOpal“ – das sind vor allem Auf- und Abtritte von Musikern und Sängern: Nicht nur am Anfang herrscht ein reges Kommen und Gehen auf der Bühne und im hochgefahrenen Orchestergraben. Es dauert geraume Zeit, bis dort alle Stühle besetzt sind und die Mitglieder des Klangkörpers mehr oder minder gelangweilt auf die einzelnen Töne oder kleine Klanglinien warten, die sie beizusteuern haben. Verschiedentlich pupst ein Horn aus der Tiefe des Theaterraums.
Befreit vom „inhaltsschutt“, wie Hespos das nennt: Ein Cellist tritt an den Kaffeeautomaten, der auf der seitwärtigen Vorderbühne wartet, und lässt sich einen Plastikbecher füllen. Yuko Kakuta stößt, indem sie sich zwischen den Streichern hervortut, akrobatische Töne aus: Fortgeschrittene Freuden oder Leiden mit den Stimmbändern ohne erkennbare Ursache. Die zunächst sehr dünn gestreuten Klangaktionen erdichten sich nach und nach mit „improvisationsschleim“, um dann wieder zu verebben in „pulsierendem zerkippen“ und neuerlich zu kontrahieren. Sonst tut sich nicht viel. Ein dünner, hoch aufgeschossener Darsteller treibt es mit der Sopranistin und den Abend damit stark in die Länge – bis das Publikum seinen Unmut bekundet. Die Orchesterleute haben sich wie bei Haydns Abschiedssymphonie längst verkrümelt.
Lehrer Hespos, der dem Wort als künstlerischem Bestandteil von Musiktheater grundsätzlich misstraut, hat in einer wortreich kommentierten Partitur orchestrale Arbeitssituationen skizziert – in Fortsetzung dessen, was seit vier Jahrzehnten Künstler wie Mauricio Kagel, Giorgio Battistelli, Achim Freyer oder Christoph Marthaler entwickelten. Diese Partitur „ist ebenso genau ungenau wie ungenau genau notiert“, schreibt Hespos. „Das gibt sängern, instrumentalisten die chance, MUSIK zu machen, dem regisseur dann anregungen, vielerlei ereignisse ins spiel zu bringen.“ Anna Viebrock, seit vielen Jahren Mitarbeiterin von Marthaler und Jossi Wieler für Bühnenräume, Interieurs und Kostüme, hat diese Aufforderung beherzigt. Sie ließ einen Chorprobensaal aus dem Geist der fünfziger Jahre auf die Bühne bauen, an dessen schräger Rückwand sich ein riesenbreiter Spiegel zu befinden scheint. Es handelt sich jedoch um einen Durchblick in einen spiegelverkehrt angeordneten baugleichen Raum – die virtuelle Demarkationslinie wird witzig bespielt von den in Bewegung gebrachten Kollektiven, von Paaren und Zwillingen und dem Tenor Christoph Hornberger, der mit der Stirn gegen die unsichtbare Scheibe prallt, dadurch mit Schmerzenslauten zu Boden sinkt.
Hespos und Viehbrock haben sich, von unterschiedlichen Positionen kommend, in einer Ästhetik des Unbehagens zusammengefunden und einen verzerrt gezeigten Theateralltag als absurde Veranstaltung vorgeführt. Der Komponist, dessen Berufung einst das Zusammensetzen von Tönen war, hat sich mit etwas, was ihm skurril erscheint, auseinander gesetzt. Doch mehr als ein kauziger nonverbaler Kommentar ist nicht herausgekommen. Denn dass Oper lediglich als unmögliche Kunstform existiert, ist bekannt, seit Jacopo Peri und Rinnucini sie vor gut 400 Jahren zur Welt brachten.
FRIEDER REININGHAUS