Simonis stoppt „Bild“

Nicht gegendarstellungsfähig (I): Presseanwalt Jony Eisenbergs juristische Betrachtungen. Neue Serie

An dieser Stelle wird der Berliner Strafverteidiger und langjährige Presseanwalt Jony Eisenberg montags juristische Betrachtungen anstellen. Heute: Wie „Bild“ sich an die Privatperson Heide Simonis ranmacht – und sich ein „Harrassment-Verbot“ holt.

27. April 2005: Machtwechsel in Kiel. Zur Mittagsstunde übergibt Heide Simonis ihr Büro an den Nachfolger und verlässt als Ministerpräsidentin a. D. das Kieler Landeshaus. Sie ist keine Abgeordnete mehr, sie hat keine aktive politische Funktion in der Partei. Es wird gesagt, dass sie nach zwölf Jahren Ministerpräsidentenamt der Machtverlust schmerze.

Für die Dienstfahrt nach Hause stehen ihr ein letztes Mal Security-Beamte mit Fahrzeug zu. Sie fährt auf dem Heimweg in ein Kieler Einkaufszentrum, sucht einen Fischhändler auf, einen Modeboutiquar. Vom Verlassen des Landeshauses an wird sie von einem Fotografen verfolgt, der jeden ihrer Schritte ablichtet: Wie sie durch das Einkaufszentrum schlendert, wie sie Auslagen bei H & M ansieht und probiert. Auf Intervention der Sicherheitsbeamten erteilt der Boutiquar dem Fotografen ein Hausverbot, und vereitelt damit, dass auch noch in die Umkleidekabine hinein fotografiert wird.

Nach dem Verlassen des Geschäfts geht die Verfolgung weiter. Die Bild-Zeitung dokumentiert anderntags die Früchte seines Bemühens. „Danach ging Heide erst mal shoppen“, heißt es. Drei Bilder zeigen Simonis vor einer Fischtheke („Mit gesenktem Haupt steht Heide Simonis an der Salattheke, Einkaufen, um Frust zu bewältigen …“), Simonis vor einer Textilauslage („… und zumindest für Sekunden wieder glücklich zu sein. Bei H & M kauft Simonis einen Hosenanzug …“), Simonis, wie sie an einer Schuhauslage vorbeigeht, („… und hat anschließend nicht einmal mehr Blicke für Schuhe übrig“).

Am nächsten Tag, dem 28. April, steht der Mann schon zum Frühstück vor Simonis’ Wohnung. Diesmal kommt er zusammen mit einem Kollegen und zwei Fahrzeugen. Er fotografiert sie beim Verlassen des Hauses, beim Einsteigen in ihren Kleinwagen und bei der selbst gesteuerten Fahrt durch Kiel. Ein Redakteur weist die Bitte, sie in Ruhe zu lassen, zurück: Sie sei Person der Zeitgeschichte. Es interessiere die Öffentlichkeit, wie sie mit dem Machtverlust zurecht komme.

Noch am 28. erlässt das Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung, mit der Bild verboten wird, Simonis bei Fahrten mit dem Privatwagen durch Foto- oder Journalisten verfolgen zu lassen oder Bildnisse von ihr bei privaten Einkäufen zu verbreiten. Auch der machtverlorenen Politikerin als absoluter Person der Zeitgeschichte – so das Gericht – steht eine pressefreie Privatsphäre zu. Teil dieser Privatsphäre ist, wenn sie bei H & M Hosenanzüge kauft, Fischangebote prüft, ihr Haus verlässt, ihren Kleinwagen selbst steuert.

Und noch eins: Mir ist nicht erinnerlich, dass ein Mann, der sein Amt verlor, jemals in gleicher Weise bedrängt worden wäre. Jony Eisenberg