„Richtige Fragen gestellt“

Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) meint, dass die SPD jetzt nachholt, was die Grünen seit langem vormachen

INTERVIEW HANNES KOCH

taz: Herr Trittin, teilen Sie die Kritik von SPD-Chef Franz Müntefering am Kapitalismus der Finanzinvestoren, die wie Heuschrecken über arme deutsche Unternehmen herfallen?

Jürgen Trittin: Müntefering hat die richtigen Fragen aufgeworfen. Bis in den katholischen Klerus ist doch bekannt, dass man die Gesellschaft nicht nach den Regeln der Betriebswirtschaft organisieren darf. Wir brauchen ein demokratisches Primat des Politischen.

Die Globalisierung hat den Bewegungsspielraum der transnationalen Unternehmen vergrößert. Was ist nun konkret zu tun?

Es geht um die Wiederherstellung dessen, was Karl Marx einmal den „ideellen Gesamtkapitalisten“ genannt hat. Der muss den Rahmen für die Marktwirtschaft vorgeben. Unter den Bedingungen der Globalisierung kann das ein Staat nicht alleine. Im Prinzip gibt es zwei Wege: zum einen supranationale Organisationen wie die Europäische Union, zum anderen multilaterale Abkommen. Denken Sie an die Regulierungsversuche der Welthandelsorganisation WTO oder auch die Verträge zum internationalen Klimaschutz. Fortschritte auf diesem Terrain sind aber ungeheuer schwierig.

Wie kann man denn die sprichwörtlichen Heuschrecken am Fressen hindern?

Ein wirksamer staatlicher Rahmen sollte Gewinnstreben ohne soziale Verantwortung einschränken.

Aber wie genau? Auch bei den Grünen herrscht Hilflosigkeit, wenn es um die Profitmaximierung der Konzerne geht.

Es ist ein großer Fortschritt, dass nun über das Verhalten der Konzerne diskutiert wird. Es kann ja nicht sein, dass Unternehmen die hervorragende Infrastruktur Deutschlands nutzen, um sie auf der anderen Seite durch fortwährenden Konkurrenzdruck zu untergraben.

Hat die grüne Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt Recht mit ihrem Satz, dass „Firmen Gewinne machen dürfen“?

Das ist keine moralische Frage. Kapitalismus beruht auf Gewinnmaximierung. Grüne müssen darüber nachdenken, wie die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und des Menschen in Grenzen gehalten werden kann, damit künftige Wertschöpfung möglich bleibt.

Bisher haben sich grüne Politiker aus der Kapitalismusdebatte weitgehend herausgehalten. Ist ihnen das Thema unangenehm oder haben sie es verschlafen?

Weder noch. Wir haben in den vergangenen Jahren etwa durchgesetzt, dass neue EU-Mitgliedstaaten die komplette europäische Umweltgesetzgebung übernehmen müssen. Das ist ein Schutz gegen Dumping-Konkurrenz aus dem Ausland. Mit den Äußerungen von Müntefering holt die SPD das nach, was wir vormachen.

Beim Thema soziale Gerechtigkeit haben sich die Grünen nicht gerade hervorgetan. Müssen sie wieder kapitalkritischer werden?

Nein, unsere Positionen sind zeitgemäß. So fordern wir eine Steuer auf transnationale Devisengeschäfte, um mit diesem Geld die Armut weltweit besser bekämpfen zu können.

Sind die Grünen eine linksliberale Partei, die ihren grundsätzlichen Frieden mit dem Kapitalismus längst gemacht hat?

Wir wollen, dass die ökologische, die soziale und wirtschaftliche Lebensfähigkeit dieses Planeten auch für die zukünftigen Generationen erhalten bleibt. Mit Neoliberalismus geht das nicht. Es bedarf des Primats des Politischen über die Ökonomie.

Sie sind 1980 vom Kommunistischen Bund zu den Grünen übergetreten. Was haben Sie von Ihrer damaligen Utopie bis heute erhalten?

Wir galten damals als die Realos unter den Linksradikalen, weil wir uns konkreten Problemen, etwa dem Ausstieg aus der Atomkraft, gewidmet haben. Letzteres betreibe ich bis heute – mit sichtbarem Erfolg.