kuckensema: auf bremens leinwänden
: „Suite Havanna“ von Fernando Pérez

Kuba ist in den letzen Jahren zum „Jurassic Park“ des Kinos geworden, zum globalen Museumsdorf für Regisseuren, die vom politischen Dinosaurier fasziniert sind und den pittoresken Verfall zelebrieren. Immer wieder Che und die alten Chevrolets auf den Straßen, die tanzenden Prostituierten und alten Musikanten. Nirgends ist die Armut so fotogen wie in Havanna.

Da glaubt man ja zu wissen, was man von einem Film mit dem Titel „Suite Havanna“ zu erwarten hat, doch dann sieht man gleich in einer der ersten Einstellungen nicht etwa Fidel oder Che, sondern John Lennon. Nach diesem wurde in Havanna ein ganzer Park benannt und dort sitzt er in Bronze gegossen auf einer Bank. Und vor ihm sitzt Tag und Nacht, bei Wind und Wetter einer von zwei Wächtern, die abwechselnd aufpassen, dass kein Vandale ihm die Bronzebrille abbricht. Diese Geschichte muss man sich im Laufe des Film selber zusammenreimen, denn der Filmemacher Fernando Pérez erklärt nichts.

Seine Protagonisten sprechen nicht miteinander und abgesehen von Nachrichtensendungen, die im Hintergrund zu hören sind oder Kindern, die in der Schule das Zählen lernen, hört man keine Worte in dieser „Folge von Tanzsätzen“ (so die Definition einer Suite). Wie musikalische Themen werden die Tagesabläufe von zwölf Menschen ineinander verwoben, denen der Film 24 Stunden lang folgt. Da ist der 10-jährige, leicht behinderte Francisquito, der morgens liebevoll von seinem Vater geweckt wird, einem Witwer, der seinen Beruf als Architekt aufgab, um sich ganz seinem Sohn zu widmen. Miranda, die über 90jährige Greisin, kann sich dagegen kaum noch rühren und scheint sich den ganzen Tag über alte Aufzeichnungen von revolutionären Versammlungen im Fernsehen anzusehen. Der Film konzentriert sich dabei ganz aufs Detail : darauf, wie der Kaffee in einer kleinen Küche gebraut wird, oder wie die 79-jährige Amanda Erdnüsse eintütet, die sie dann auf der Straße verkauft.

Mit Nahaufnahmen einer Maschine, die in einer Fabrik Zahnpasta in Tuben drückt oder wie von Lastwagen, die wie mechanisch an der Kamera vorbeifahren, zitiert Pérez Walter Ruttmanns klassischen Stummfilm „Berlin: Die Sinfonie einer Großstadt“ von 1927, doch anders als dieser erzählt er viel lieber von den Menschen als von den Dingen. Das traurige Gesicht eines Arztes, der sich gerade als Clown schminkt, um auf einem Kindergeburtstag Zauberkunststücke vorzutragen oder der Blick von Jorge Luis, der in die USA auswandert und sich am Flughafen von seiner Familie verabschiedet – all das ist ästhetisch zu genau auf den Punkt gebracht, um von der Kamera nur dokumentierend aufgenommen worden zu sein. Tatsächlich hat Pérez alles bis ins kleinste Detail inszeniert, eine „nichtfiktionale Fiktion“ nennt der Regisseur von „Das Leben ist ein Pfeifen“ diese Methode. Mit einigen ausgefeilten Kamerafahrten, bei denen die Mitspieler sich nach genausten Regieanweisungen bewegen, macht Pérez überdeutlich, das es es ihm nicht etwa darum geht, Authentizität vorzutäuschen.

Stattdessen ist es ihm gelungen, die zwölf Tagesabläufe mit ihrer ganzen widersprüchlichen Lebendigkeit in Melodiebögen zu verwandeln, sie mit Parallelmontagen als Kontrapunkten gegeneinander zu setzten und schließlich zu einer elegischen, liebevollen und leisen Symphonie seiner Heimatstadt zusammen zuführen.

Wilfried Hippen

Suite Havanna`` läuft täglich im Atlantis