: So bändigen Sie den Kapitalismus
VON HANNES KOCH
1. Werden Sie sich über eines klar: Der Kapitalismus ist okay!
Eine effektivere Wirtschaftsordnung gibt es augenblicklich nicht. Aber alles geht irgendwann zu Ende. Und dieses Ende wirft schon seine Schatten voraus. Der Kapitalismus hat jede Menge Fehler, an denen Sie heute arbeiten können.
2. Schimpfen Sie nicht ständig auf die bösen Hedge Fonds, die die armen deutschen Unternehmen überfallen!
Darum geht es doch nicht, auch wenn SPD-Chef Franz Müntefering das Gegenteil behauptet. Zugegeben, es ist nicht immer schön, wenn irgendwelche Investoren kommen, eine Firma übernehmen, filetieren, Stellen streichen, nach einigen Jahren alles verkaufen und wieder verschwinden. Aber: Wie wollen Sie Leute mit Geld daran hindern, Aktien eines Unternehmens zu kaufen? Die Börse abschaffen, Aktien abschaffen, Geld abschaffen? Wenn Sie dieses Gesellschaftssystem zivilisieren wollen, müssen Sie woanders ansetzen: an den Rahmenbedingungen.
3. Fragen Sie sich doch mal, wieso die Investoren so viel Geld haben!
Oder anders gefragt: Warum verfügen Sie als Politiker über zu wenig Mittel, um den Sozialstaat in Gang zu halten, in Kinder und Bildung zu investieren? Warum sind die Staatskassen leer, wenn andererseits täglich mehr als 1.000 Milliarden Dollar liquiden, quasi überflüssigen Kapitals rund um den Globus investiert werden? Weil es Investmentgesellschaften, Fonds und transnationalen Konzernen gelingt, im Verhältnis zu ihren Gewinnen weniger Steuern zu zahlen. Deshalb:
4. Setzen Sie sich für ein Internationales Finanzamt ein!
Das ist keine Utopie. Das Internationale Finanzamt ist quasi im Entstehen begriffen. Schon jetzt informieren sich die Staaten Europas gegenseitig darüber, wenn wohlhabende Privatleute im Ausland Geld anlegen. SPD-Finanzminister Hans Eichel hat großes Interesse zu verhindern, dass ihm die hiesigen Profite entwischen und seine Steuereinnahmen sinken. Unterstützen Sie ihn darin, noch einen Schritt weiterzugehen. Bei der nächsten Sitzung der mächtigsten Wirtschaftsnationen, der G-8-Staaten in Edinburg, soll Eichel im Juli mit Großbritannien, den USA und den anderen Regierungen darüber verhandeln, dass eine Internationale Steuerbehörde gegründet wird. Diese würde beispielsweise überall auf der Welt Abgaben auf die Nutzung der globalen Umwelt einziehen – und darauf achten, dass Unternehmen in jedem Land wenigstens ein Minimum ihrer Überschüsse an die Gesellschaft abtreten.
5. Bilden Sie ein Bündnis für die Steuer auf Devisentransaktionen!
Ein paar Mitstreiter haben Sie schon: In Frankreich hat sich die Nationalversammlung für diese internationale Steuer ausgesprochen, und in Belgien gibt es bereits ein Gesetz. Nun müssen Sie noch die britische Regierung gewinnen, denn die Londoner Börse ist der wichtigste Finanzplatz Europas. Finanzminister Gordon Brown, potenzieller Nachfolger von Tony Blair, könnte ein offenes Ohr haben. Denn jedes Devisengeschäft würde dann mit einer Abgabe belegt, die Ihnen Milliarden Euro zusätzlicher Mittel bringt, um Armut zu reduzieren, Wissenschaft und Forschung zu finanzieren oder Schulen zu renovieren.
6. Versuchen Sie, die internationalen Steueroasen trockenzulegen!
Zum Beispiel auf den Cayman-Inseln in der Karibik beträgt die Steuer auf Gewinne exakt null. Auch die Deutsche Bank und die Dresdner Bank unterhalten dort Niederlassungen. An die dorthin überwiesenen Gewinn-Milliarden kommen die deutschen Finanzämter nie heran. Das stört nicht nur den deutschen Finanzminister, sondern auch seinen US-Kollegen und viele weitere Regierungen. Gemeinsam bearbeiten Sie die britische Regierung, unter deren Oberhoheit die Cayman-Inseln stehen. Gelten auf den Caymans erst ähnliche Steuersätze wie in Deutschland, können die Konzerne die Bundesregierung nicht mehr zur immer weiteren Senkung der Abgaben zwingen.
7. Schaffen Sie das Bankgeheimnis in Deutschland ab!
International ist das sowieso en vogue. Und auch in Deutschland haben die Finanzämter seit kurzem mehr Möglichkeiten, versteckte, unversteuerte Gewinne auf Bankkonten und in Aktiendepots aufzuspüren. Aber ein Problem besteht noch immer: Die Steuerfahndung weiß oft nicht, wo sie suchen soll. Das können Sie ändern. Ordnen Sie einfach an, dass die Computer der Geschäftsbanken bei jeder Transaktion automatisch eine Kontrollmitteilung ans Finanzamt schicken, und alles ist geritzt.
8. Richten Sie eine internationale Agentur ein, die dafür sorgt, dass transnationale Konzerne die Menschenrechte respektieren!
Dass transnationale Unternehmen ihren Beschäftigten in Botswana auskömmliche Löhne zahlen, in Indien die Umweltrichtlinien einhalten und in Bolivien die Versammlungsfreiheit respektieren, ist in Verträgen niedergelegt. Die Realität ist oft eine andere. Deshalb: Ergreifen Sie die Initiative für eine internationale Agentur, die Verstöße gegen diese Bestimmungen recherchiert. Die Internationale Arbeitsorganisation in Genf (ILO) wird Sie dabei unterstützen. Die Einhaltung der Menschenrechte nützt nicht nur den Arbeitern in den Entwicklungsländern, sondern auch den Beschäftigten in Europa: Der Preisdruck aus dem Ausland lässt nach.
9. Erhöhen Sie die Löhne der Beschäftigten!
Jetzt werden Sie einwenden: Das ist eine Sache zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern. Richtig, aber so wie Ihre Vorgänger seit 15 Jahren öffentlich auf geringe Lohnabschlüsse drängen, sollten Sie künftig einen anderen Akzent setzen. Denn nicht die Globalisierung, Auslagerung von Jobs nach Osteuropa und Einreise von billigen Fliesenlegern sind die Gründe für die Arbeitslosigkeit in Deutschland. Es sind die stagnierenden Löhne und Gehälter, die es 30 Millionen Beschäftigten schwer machen, mehr zu konsumieren. Denken Sie daran: Zwei Drittel der in Deutschland hergestellten Waren werden auch hier verkauft! Wenn Sie immer wieder auf diesen Zusammenhang hinweisen, ändert sich die Logik der öffentlichen Debatte. Sie haben Einfluss, nutzen Sie ihn!
10. Schmieden Sie neue Bündnisse!
Unterschiedlichste Interessengruppen kritisieren die Profitpolitik der transnationalen Konzerne. Aber sie arbeiten nicht zusammen. Bringen Sie die Globalisierungskritiker von Attac, Aktionärsschützer, Gewerkschaften und Wertkonservative an einen Tisch! Dann wird der Kapitalismus schneller gebändigt.