Hartmut El Kurdi : Wenn der Kanzler drei Mal blubbert …
Über die verbalen Ausfälle des Bundespräsidenten Heinrich Lübke weiß man inzwischen, dass sie durch eine schwere Durchblutungsstörung des Gehirns entstanden sind. Und durch die Erfindung von Journalisten.
So war das in den ewigen denglischen Sprachschatz eingegangene „Equal goes it loose“, das Lübke zu Elisabeth II. gesagt haben soll, eine Erfindung des Spiegel-Korrespondenten Ernst Goyke. Er hatte behauptet, der Sauerländer Lübke habe mit diesen Worten der Queen – quasi als sein eigener Simultandolmetscher – sagen wollen: „Gleich geht’s los.“ Nämlich das Konzert auf Schloss Brühl, das aus Anlass von Elisabeths Staatsbesuch stattfand. Wunderbar. Aber zu schön, um wahr zu sein.
Nicht erfunden sind jedoch die Entgleisungen eines anderen Sauerländers. Wir können sie heute dank Rund-um-die-Uhr-Berichterstattung in Echtzeit mitverfolgen. Wobei das Faszinierende an den Faseleien von Friedrich Merz ist, dass die nachgeschobenen Erklärungen die ohnehin schon furchtbaren Originalaussagen in der Regel meist noch furchtbarer machen.
Sein jüngster Kopfsprung in den Fettnapf war die im üblichen Merz’schen „Ich sach Ihnen mal, was hier eigentlich los ist“-Tonfall vorgetragene Beschimpfung des Landes Brasilien. Wäre Merz klug gewesen, hätte er es dabei belassen. Aber nein, er muss sich auf dem G20-Gipfel ja unbedingt mit Präsident Lula treffen und hinterher sein Umfeld den Journalisten in die Laptops diktieren lassen: „Sie haben sich verbal 40 Minuten lang umarmt.“ Ein Bild, dass man nie mehr aus dem Kopf kriegt.
Weiter hieß es, der Kanzler habe in dieser 40-minütigen Kuschelei auf Lulas Bemerkung, Merz hätte mal lieber in Brasilien tanzen und was essen gehen sollen, mit folgendem Satz reagiert: „Super, nächstes Mal gehen wir zusammen tanzen!“ Man weiß gar nicht, was an diesem Satz schlimmer ist: Das peinliche Jugendzentrums-„Super“ eines 70-Jährigen oder die Vorstellung, Merz Samba tanzen zu sehen.
Manche Journalisten entschuldigen das Vor-sich-hin-Blubbern des Kanzlers ja damit, dass er eben frei Schnauze rede. Ständig werde gefordert, Politiker sollten nicht immer die gleichen gestanzten Politbetriebsfloskeln von sich geben, aber wenn einer mal drauflos spreche, sei das auch wieder nicht recht. Dazu muss man ganz klar sagen: Jein! Wenn beim Frei-Schnauze-Reden ein Rassismus nach dem anderen aus dem Redner heraussuppt, bin ich doch eher fürs abgelesene Manuskript.
Außerdem kann das Vermeiden von diplomatischen Floskeln auch anders klingen. Der ehemalige US-Präsident Obama eröffnete mal eine Rede vor dem britischen Parlament mit den Worten: „Mir wurde gesagt, dass die letzten drei Redner hier der Papst, Ihre Majestät die Queen und Nelson Mandela waren. Was entweder die Latte sehr hoch legt – oder der Anfang eines sehr komischen Witzes ist.“ Geht doch.
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