Christian Dürr über Bruch der Ampel: „Es war richtig, Nein zu sagen“
Die liberale Demokratie funktioniert nicht ohne die FDP – findet ihr Vorsitzender Christian Dürr. Das Ende der Ampel bereut er trotzdem nicht.
taz: Vor einem Jahr erklärte Olaf Scholz die Ampel für beendet. Die FDP hatte aktiv darauf hingearbeitet. Hat es sich gelohnt, Herr Dürr?
Christian Dürr: Rückblickend war es richtig, damals nicht auf die Erpressung des Bundeskanzlers einzugehen. Zu sagen: Wir machen keine Reformen und versuchen, mit lauter neuen Schulden die Koalition zu retten, wäre für die FDP kein Weg gewesen. Insofern war es richtig, damals Nein zu sagen.
taz: Sie und Ihre Partei sind jetzt seit acht Monaten nicht mehr im Bundestag vertreten. Was macht das mit Ihnen?
Dürr: Man muss nüchtern feststellen, dass sich diese neue Koalition im Prinzip genauso verhält wie die Ampel in ihrer Endphase. Wir selbst haben unsere Fehler analysiert und uns hinterfragt.
taz: War es also unklug, gezielt auf den D-Day hinzuarbeiten?
Dürr: Das Papier, auf das Sie sich beziehen, hat keine Rolle gespielt. Wenn eine Koalition scheitert, ist keiner frei von Schuld.
taz: Was bleibt denn von der Ampel außer dem Deutschlandticket?
Dürr: Also … Zumindest ist es uns gelungen, steuerliche Entlastungen hinzubekommen, gerade für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Und das Sondervermögen für die Bundeswehr bleibt, da hat die Regierung nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs richtig reagiert.
taz: Wir hätten gedacht, Sie nennen auch die doppelte Staatsbürgerschaft oder das Selbstbestimmungsrecht. Sind das Dinge, zu denen Sie nicht mehr stehen?
Dürr: Aber das reicht doch nicht aus, um das Land nach vorn zu bringen. Sonst wäre die Regierung nicht abgewählt worden.
taz: Sie hatten am Anfang der Ampel Olaf Scholz gelobt, er habe „Drive“ und würde was voranbringen. Wann hat sich diese Bewunderung ins Gegenteil verkehrt?
Christian Dürr, 48, ist seit Mai 2025 Vorsitzender der FDP. Vorher war er, bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag, Fraktionsvorsitzender seiner Partei.
Dürr: Das war keine Bewunderung. Aber die SPD hat zu schnell der Mut zu Reformen verlassen. Leider muss man feststellen, dass das jetzt auch bei der CDU der Fall ist.
taz: Wann hatten Sie denn das letzte Mal Kontakt zu Scholz?
Dürr: Als ich ihn nach der Bundestagswahl im Bundestag gesehen habe.
taz: Sie haben keinen Kontakt mehr?
Dürr: Mein Hauptfokus ist die Neuaufstellung der FDP. Es ist nicht die Zeit für nostalgische Kränzchen.
taz: Auch nicht mit Christian Lindner?
Dürr: Wir sprechen immer mal wieder miteinander und haben ein gutes Verhältnis. Aber ich habe das große Glück, dass ich anders als andere Parteivorsitzende keine Vorgänger habe, die mir öffentlich gute Ratschläge geben.
taz: Sind Sie froh, jetzt nicht mit der Union regieren müssen, die haufenweise neue Schulden macht?
Dürr: Ich bin immer bereit, Verantwortung zu übernehmen. Aber mit uns hätte es diese Schulden nicht gegeben. Eine Politik, die immer nur darauf setzt, dass der Staat seine Ausgaben steigert, bringt uns nicht voran. Deutschland ist nicht führend bei der Digitalisierung, bei neuen Technologien oder beim Klimaschutz. Diese Art der linken Wirtschaftspolitik ist in Deutschland krachend gescheitert. Und die Union beweist gerade, dass sie in Wahrheit wirtschaftspolitisch komplett links von uns steht.
taz: Der Großteil der 500 Milliarden Euro für Infrastruktur und Klimaschutz wird erst noch verplant und verbaut. Sind Sie nicht etwas voreilig in Ihrer Kritik, das ganze Geld brächte nichts?
Dürr: Es wird nur ein Teil Investitionen in der Infrastruktur ankommen. Denn jetzt werden auch Investitionsausgaben im Bundeshaushalt zurückgeschraubt, etwa für die Bahn. Da wird einfach nur Geld verschoben, damit man zusätzliches Geld für neue Subventionen hat.
taz: Zum Beispiel für subventionierten Agrardiesel. Die Koalition hat die Rückerstattung für Landwirte wieder eingeführt. Schlimm?
Dürr: Es ist auf jeden Fall falsch, Landwirten einfach immer nur was wegzunehmen.
taz: Aha. Wie wollen Sie dafür sorgen, dass wieder mehr Wähler:innen an die FDP glauben?
Dürr: Ich glaube, wir müssen mehr Risiko wagen. Wir müssen bereit sein, mehr Dinge zuzulassen. Wenn man so eine Art Vollkaskostaatsmentalität an den Tag legt, habe ich die große Sorge, dass unser Land Zukunft verpasst. Ich bin davon überzeugt, dass viele Menschen sehr wohl für Veränderungen bereit sind. Wir erarbeiten gerade ein neues Grundsatzprogramm, das im nächsten Jahr beschlossen werden soll.
taz: Sie wollen sich an die radikale Mitte wenden. Wer oder was soll das sein?
Dürr: Wir sind eine Partei der Mitte, aber ich will nicht Teil der Konsenssoße und des Status quo sein. Die FDP muss sich davon abheben. Wir haben die Extremisten links und rechts. Es muss ein drittes Angebot aus der Mitte geben, mit mutigen Reformvorschlägen für die sozialen Sicherungssysteme und in der Bildungspolitik. Aber auch beim Thema Migration.
taz: Was schwebt Ihnen da vor?
Dürr: Es dürfen keine Menschen mehr durch Schlepperkriminalität ins Land kommen, wo sie teilweise auf den Routen sogar ihr Leben lassen. Andererseits warten Menschen nicht selten zwei Jahre auf ein Arbeitsvisum. Arbeitgeber verzweifeln, weil sie die Arbeitskräfte nicht ins Land bekommen und an der Grenze dauert es zwei Sekunden, um als Asylbewerber oder Flüchtling anzukommen. Wir müssen unser Einwanderungssystem komplett auf den Arbeitsmarkt statt auf das Asylsystem ausrichten.
taz: Wollen Sie das Grundrecht auf Asyl abschaffen?
Dürr: Nein, denn echte Asylfälle machen nur 0,7 Prozent der Schutzgesuche aus.
taz: Also wollen Sie die europäischen Vereinbarungen zum subsidiären Schutz abschaffen?
Dürr: Wir müssen hinterfragen, ob der subsidiäre Schutz noch funktioniert. Wir sollten über Flüchtlingskontingente sprechen für Menschen, die tatsächlich in akuter Gefahr sind. Es wäre doch viel sinnvoller, Menschen, die wirklich schutzbedürftig sind, aus einem Konfliktgebiet über Kontingente direkt ins Land zu bringen, als dass man sie kriminellen Schleppern überlässt und sie unterwegs Lebensgefahr aussetzt.
taz: Migration sehen Sie also als großes Thema. Was noch?
Dürr: Mein Ansatz ist, aus der Sicht der Menschen zu denken. Die meisten sagen, sie haben Probleme mit den Lebenshaltungskosten und können sich immer weniger von ihrem Lohn leisten. Linke Politik würde nur sagen, lasst uns die Preise regulieren. Ich glaube, das führt in die Irre.
taz: Und Sie sehen die gestiegenen Lebenshaltungskosten, die Immobilien- und Grundstückspreise nicht als Problem, sondern sagen: Der Markt regelt das?
Dürr: Das Problem ist doch, dass der Staat jungen Menschen teilweise fast die Hälfte von ihrem Lohn wegnimmt. Ich bin dagegen, dass der Staat die Preise festlegt. Das wäre auch das Gegenteil der DNA der FDP. Aber nehmen wir es hin, dass gerade junge Menschen in den kommenden Jahren immer höhere Sozialversicherungsbeiträge zahlen und sich immer weniger leisten können? Da sind wir doch bei den Lebenshaltungskosten.
taz: Was schlagen Sie vor, um diese zu senken?
Dürr: Wir sind eine alternde Gesellschaft, deshalb brauchen wir die Einwanderung in den Arbeitsmarkt. Das zweite ist: Menschen müssen wieder die Möglichkeit haben, sich ein Vermögen aufzubauen. Dieses Versprechen ist in Deutschland gebrochen. Dazu gehört Kapitaldeckung in den sozialen Sicherungssystemen. Für die Rente hatten wir das vorgeschlagen mit der Aktienrente. Ich würde das gerne ausweiten auf die Kranken- und Pflegeversicherung.
taz: Das heißt, die Leute zahlen Gesundheit und Pflege künftig mehr privat aus eigener Tasche.
Dürr: Linke Politik befindet es als gut, wenn Menschen in ein soziales Sicherungssystem einzahlen, aus dem sie am Ende wenig rausbekommen. Ich bin der Überzeugung, dass es gut ist, wenn Millionen von Menschen, insbesondere Menschen mit geringem Einkommen, das gleiche Geld am Kapitalmarkt anlegen und dort sparen.
taz: Wären Sie dafür, dass Erb*innen großer Vermögen etwas mehr abgeben zum Wohle der Hälfte der Bevölkerung, die keines hat? Bei Unternehmensvermögen gibt es Ausnahmen, die dafür sorgen, dass Millionenbeträge leistungslos weitergegeben werden können.
Dürr: Eine Erbschaftssteuer, die mit einem Satz von beispielsweise 30 Prozent das Unternehmen belasten würde, würde bedeuten, dass 30 Prozent eines Unternehmens veräußert oder weggeschnitten werden müssten. Das kann niemand wollen.
taz: Sie sind also dagegen, Privilegien abzuschaffen, die erlauben, dass Vermögen steuerfrei verschenkt oder in Stiftungen versteckt werden kann?
Dürr: Ihre Frage unterstellt, dass das möglich sei. Ich behaupte, dass eine hohe Erbschaftssteuer für Unternehmen nicht möglich ist, ohne dass Arbeitsplätze verloren gehen.
taz: Also keine Reform der Erbschaftssteuer mit der FDP.
Dürr: Ich würde sogar noch weiter gehen: Ich bin gegen eine Erhebung von Erbschaftssteuer, wenn sie Vermögen betrifft, an denen Arbeitsplätze hängen. Familienunternehmen, die von der einen an die nächste Generation weitergegeben werden, sind unser letzter Wettbewerbsvorteil in Deutschland.
taz: Verengen Sie den Liberalismus in der FDP nicht zu sehr auf Marktradikalität? Gibt es nicht darüber hinaus eine größere Erzählung von Freiheit?
Dürr: Sie machen einen Widerspruch aus, den ich nicht sehe. Die Freiheit des Einzelnen und wirtschaftliche Freiheit gehören unmittelbar zusammen. Das ist ein Grund, warum die FDP glasklar gegen Chatkontrolle ist. Das unterscheidet uns von der Union. Für uns steht der Einzelne im Vordergrund. Das gilt auch bei der Überwachung.
taz: Die Frage zielte darauf ab, warum es die FDP nicht schafft, eine liberale Gegenerzählung zum um sich greifenden Autoritarismus zu liefern.
Dürr: Ich will die FDP genau in diese Richtung erneuern. Der Grund, warum die Extremisten Zustimmung finden, ist nicht, weil die Leute deren Thesen teilen, sondern weil sie bitter enttäuscht sind von den anderen Parteien.
taz: Auch von Ihrer.
Dürr: Der Unterschied ist, dass die FDP keine moralischen Fensterreden hält, sondern sehr konkrete Änderungsvorschläge macht.
taz: Würden Sie für uns noch diesen Satz ergänzen: Ein Bundestag ohne die FDP ist wie …
Dürr: … eine liberale Demokratie ohne Liberale. Und das funktioniert nicht.
taz: Funktioniert doch aktuell.
Dürr: Da widerspreche ich.
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