: Buddhas Heimkehr
BUDDHISMUS Nachdem er im Westen Fuß gefasst hat, entdecken auch moderne Inder die Lehre des Meisters
■ Vor rund 2.500 Jahren erblickte er im nordindischen Dorf Lumbini, das heute zu Nepal gehört, das Licht der Welt: Prinz Siddhartha Gautama. Nach dem Erleuchtungserlebnis blieben dem „Buddha“ noch 45 Jahre, um seine neue Lehre zu verbreiten. Er gründete einen Mönchsorden und gewann Förderer unter Kaufleuten und Fürsten. Der indische Kaiser Ashoka ließ Buddhas Lehre im 3. Jahrhundert v. Chr. über den ganzen Subkontinent verbreiten. Als Jesus von Nazareth wirkte, war der Buddhismus die dominante Religion in Indien und Sri Lanka. Doch in seinem Ursprungsland Indien gewann 1.000 n. Chr. wieder der Hinduismus, später auch der Islam die Oberhand. Im vergangenen Jahrhundert entdeckte der Führer der indischen Unberührbaren, Bhimrao Ambedkar, den Buddhismus und empfahl ihn als Zuflucht vor dem hinduistischen Kastensystem. Am 14. Oktober 1956 trat Ambedkar mit rund 388.000 Unberührbaren zum Buddhismus über. Heute gilt der Buddhismus in Mittel- und Oberschicht als modern. Hinzu kommt die Strahlkraft des Dalai Lama: 1959 floh er aus Tibet und ließ sich im nordindischen Bergstädtchen Dharamsala nieder. Er wurde zum Symbol des tibetischen Freiheitskampfes, aber vor allem avancierte er zum Weltstar eines aufgeklärten Buddhismus. Mehr als die Hälfte seiner Vorträge hält er in Indien vor Tausenden begeisterter Zuhörer.
■ Hauptseite der Vipassana-Bewegung: www.vipassana.com Meditationskurse online: www.ahimsatrust.org
VON RAINER HÖRIG
Bedächtig tuckert das kleine Fährboot über eine von Mangrovensümpfen gesäumte Lagune. Zahlreiche Inseln säumen die Küste von Gorai im Norden der Hafenstadt Mumbai, die früher Bombay hieß. Die Mitreisenden, fast alles Collegestudenten, sind so ins Gespräch vertieft, dass sie die Schönheiten der Natur, die Mangrovenwälder, die weißen Sumpfreiher, die frische Seeluft kaum wahrnehmen. Während wir die Hektik, den Lärm und den Schmutz der Millionenstadt hinter uns lassen, taucht aus dem Dunst ein blassrotes Bauwerk auf, das wie ein riesiger Hut auf einer Insel sitzt und dessen sich verjüngende Spitze kerzengerade in den blauen Himmel ragt. Baukräne deuten darauf hin, dass an dem Monument noch gearbeitet wird.
An der Fähranlegestelle begrüßt ein Hinweisschild die Fahrgäste. Nach rechts weist ein Pfeil zum Vergnügungspark Esselworld, dem ältesten, beliebtesten und mit allem modernen Schnickschnack ausgestatteten Vergnügungspark. Nach links geht es zur Global Pagoda. Die Jugendlichen ordnen sich zielsicher rechts ein, ich entscheide mich als Einziger für den linken Pfad. Es gilt zunächst, eine kleine Anhöhe zu erklimmen. Schon bald finde ich mich von üppigem Dschungel umgeben, die Luft ist schwül und der Weg schweißtreibend. Der Buddha lebte jahrelang im Wald und übte Askese, schießt es mir durch den Kopf. Der Gedanke macht mir den Anstieg etwas leichter.
Und dann schimmert die goldene Spitze der Pagode durch das Blattwerk und zieht mich in ihren Bann. Sie erinnert in Form und Größe an die Shwedagon-Pagode in der birmanischen Hauptstadt Rangun, die ebenfalls auf einem Hügel steht. Ich stehe vor dem massigen, in mehrere Stockwerke unterteilten Kuppelbau, aus dem die mit einem goldenen Schirm verzierte Turmspitze fast einhundert Meter hoch aufragt. Die grazile, aber erdverbundene Ästhetik, die Größe und der rosarote Sandstein vermitteln Erhabenheit. „Die Global Pagoda hat unser Meister Goenka aus Dankbarkeit für seinen birmanischen Guru entworfen“, hatte mir ein Eingeweihter gesagt und mich so zu diesem Besuch inspiriert. „Die Global Pagoda ist unser Leuchtturm, sie soll die Lehre Buddhas in die ganze Welt und nach Indien ausstrahlen!“
Es ist ziemlich einsam an der Pagode. Keine Menschenseele! Der Tradition folgend umrunde ich die Pagode im Uhrzeigersinn und stehe bald vor einem mit prächtigen Schnitzereien verzierten Holzportal. Fast alle Stupas der buddhistischen Welt sind solide Bauwerke, doch die Global Pagoda ist innen hohl, eine riesige, freitragende Kuppel, in deren Scheitelpunkt die Reliquie, ein Überrest des sterblichen Buddhas, eingelassen ist.
Ein Bauingenieur weist mir den Weg ins Innere: „Wir haben hier eine traditionelle indische Bautechnik angewandt. Die Steine für die Kuppel sind so behauen, dass sie sich ineinander verhaken und so die Last tragen. Die Kuppel misst 93 Meter im Durchmesser und ist 30 Meter hoch. Schauen Sie hoch zum Scheitelpunkt, sehen Sie das buddhistische Rad der Lehre?“
Ein Eingeweihter
Am 8. Februar diesen Jahres kam Indiens Staatspräsidentin Pratibha Patil nach Gorai. Umgeben von Ministern, Großindustriellen und einigen Bollywood-Größen wohnte sie der Einweihungsfeier für die Global Pagoda bei. An ihrer Seite saß Priyanka Gandhi, Tochter der zweiten mächtigen Frau Indiens, der Congress-Partei-Vorsitzenden Sonia Gandhi. Beide Damen outeten sich bei der Gelegenheit als Anhängerinnen der buddhistischen Vipassana-Meditation. Zahlreiche Prominente bekennen sich in der ein oder anderen Form zur buddhistischen Lehre: Pankaj Mishra, preisgekrönter Autor, Arbaz Khan, Bollywood-Star, Nandita Das, Schauspielerin, und natürlich Subhash Chandra, Medienmogul (Zee-TV) und schwerreicher Vorsitzender der Global Vipassana Foundation.
Der Multimillionär lenkt die weltweite Vereinigung: „Meine Familie stiftete das Land zum Bau der Pagode direkt neben dem Vergnügungspark, den wir übrigens auch betreiben. Die freitragende Kuppel ist ein architektonisches Wunder, die größte ihrer Art in der Welt. Unter ihr können 8.000 Menschen meditieren“, erzählt er im Baubüro der Pagode. Vor elf Jahren begannen die Bauarbeiten. Chandra hofft, in ein paar Jahren fertig zu sein. „Bisher haben wir 25 Millionen US-Dollar investiert, davon stammen 70 bis 80 Prozent aus Spenden unserer Schüler, der Rest ist von Firmen. Es ist geplant, die Pagode später mit Gold zu überziehen“, sagt der erfolgsgewohnte Medienmogul. Ich erlaube mir die Frage, ob sich ein Meditationszentrum in direkter Nachbarschaft zu einem Funpark vertrage. Da wird Subhash Chandra philosophisch: „Aber genau das ist doch die Realität des Lebens, die Wahrheit ist stets widersprüchlich. Mit Vipassana weist der Buddha einen Weg, wie wir trotz vielfältiger Widersprüche unseren Gleichmut bewahren können!“
Die Global Pagoda symbolisiert in Indien das neu erwachte Interesse am Buddhismus. Mehr als 1.000 Jahre lang hatten die Lehren des „Erleuchteten“ das Denken, die Künste und die Geschichte Indiens mitbestimmt und sich von dort über weite Teile Asiens ausgebreitet. Seit dem 6. Jahrhundert aber drängten hinduistische Priester seinen Einfluss zurück, später zerstörten muslimische Invasoren die meisten buddhistischen Bauwerke. Nach dem 12. Jahrhundert spielte der Buddhismus in Indien praktisch keine Rolle mehr. In den 60er-Jahren entdeckte der Führer der ehemaligen Unberührbaren, Bhimrao Ambedkar, den Buddhismus und empfahl ihn als Zuflucht, um dem hinduistischen Kastensystem zu entkommen. Mehr als eine Million Dalits (Gebrochene) sind bis heute zum Buddhismus konvertiert.
Nachdem der neue Buddhismus im Westen Fuß gefasst hat, entdecken auch modern denkende Inder aus der Ober- und Mittelschicht die Lehren des alten Meisters. Das Revival wird nicht von einer Glaubensgemeinschaft organisiert, es ist eher eine spirituelle Bewegung, die viele Blüten treibt. Eine davon ist die Vipassana-Meditation. Der Geschäftsmann S. K. Goenka brachte die buddhistische Meditationstechnik erst 1969 aus Birma nach Indien. Sie wird auch von Nichtbuddhisten geübt und gelehrt. Wesentlicher Aspekt der verschiedenen Schulungsmethoden ist das Einüben von Achtsamkeit.
Ich fahre nach Pune, 120 Kilometer südöstlich von Mumbai. Hamir Ganla leitet das dortige Vipassana-Zentrum. „Die meisten Praktikanten suchen nach Wegen aus dem Alltagsstress, sie haben eine starke Abneigung gegen die traditionellen Rituale und den blinden Glauben an einen Guru“, meint er. „Vipassana ist keine Religion. In unseren Meditationszentren suchen Sie vergeblich eine Buddhastatue. Wir sind überkonfessionell. Ich würde sagen, Vipassana stellt den Kern aller Religionen dar!“ Buddha sagt, es gibt keinen Gott und jeder ist für sein Glück selbst verantwortlich. Niemand muss sich einem Guru unterwerfen, die tägliche Praxis beruht auf Arbeit mit sich selbst und ist freiwillig. .„Zu uns kommen viele junge IT-Spezialisten, die der Job ausgebrannt hat. Sie suchen nach einem Weg, den Geist zu kontrollieren und eigene Fehler zu korrigieren“, sagt der Meditationslehrer.
An die 300 Männer sitzen mit gekreuzten Beinen auf einem Kissen und schauen in sich. Viele sind im mittleren Alter, die meisten sind beruflich erfolgreiche Familienväter. Mit sanfter Stimme erteilt ein Lehrer Instruktionen: „Wir konzentrieren uns auf die Beobachtung unseres Atems, wie er aus den Nüstern tritt und über die Oberlippe bläst, wir werden uns des Atems bewusst.“ Dies ist eine der Übungen, um den Geist auf den Körper einzustimmen. Es gibt keine Freizeit, keine Musik, keine Genussmittel. Es wird nicht gesprochen, der Kontakt zu anderen Teilnehmern ist untersagt. Morgens um vier werden wir geweckt und erscheinen eine halbe Stunde später zur ersten Meditation, die zwei Stunden dauert. Nach einer Frühstückspause stehen zwei weitere Meditationsstunden in der Halle auf dem Programm.
Schätzungsweise 24.000 Inderinnen und Inder nehmen pro Jahr an einer Meditation in einem der rund 100 Vipassana-Zentren teil. Der neue Buddhismus passt in die moderne Zeit. Er zieht jene an, die mit den Ritualen und Zwängen der etablierten, häufig korrumpierten Religionen nichts anfangen können.