: Wenn Phyllis ihre Peitsche schwingt
Misogyne Bilder in der Ausstellung „Weibermacht“ im Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig
Von Bettina Maria Brosowsky
Mit ihr fing alles an: Eva war es, die trotz Verbot eine Frucht vom Baum der Erkenntnis aß. Sie animierte auch Adam zu dieser Tat – und beide wurden bekanntermaßen danach aus dem Paradies vertrieben. Eva gilt seitdem als Urmutter der Sünde, als eine Verführerin und eine Frau, die sich über alle Macht stellte, vor allem aber über die des ihr angetrauten Mannes.
Dieser männliche Blick und auch die männliche Urangst, einer Frau zu unterliegen, hat jahrhundertelang die europäisch westliche Kunstproduktion geprägt. Mit dem Begriff der „Weibermacht“ kam im Mittelalter ein geringschätzend gemeinter kunst- und kulturhistorischer Topos auf, der bis heute seinen Niederschlag findet in Karikaturen und misogyner Bildproduktion.
Mit solcher Weibermacht und dem Mythos der „schönen Bösen“ beschäftigt sich eine Ausstellung im Braunschweiger Herzog Anton Ulrich-Museum. Dafür durfte die wissenschaftliche Volontärin Anna Eunike Kobsdaj, Kuratorin der Ausstellung, den druckgrafischen Bestand des Hauses sichten, der mit etwa 130.000 Blatt zu den umfangreichsten Europas zählt. Es sind somit vorrangig über 70 kleinteilige Kupferstiche oder Radierungen, auf die sich Besucher:innen einlassen müssen. Bildkommentare helfen über Kenntnisdefizite in Kunstgeschichte und Ikonografie hinweg.
Der Ausstellungsrundgang beginnt aber nun nicht bei Adam und Eva, sie kommen in einem Rückblick noch zu Ehren, etwa als älteres, abgeklärtes Paar in einem kleinen Blatt von Rembrandt. Vielmehr sind es mächtige und selbstbewusste Frauen der Weltgeschichte, die den Bilddiskurs eröffnen: Christina von Schweden, die ihre Regentschaft aufgab, um sich in Rom der Kunst und Kultur zu widmen.
Oder Maria Theresia, die das Habsburger-Reich reformierte. Die machtvollste unter ihnen aber war die englische Königin Elisabeth I., sie legte etwa durch eine erste Kolonie in Amerika den Grundstein für das britische Weltreich. Als „Virgin Queen“ stilisierte sie sich zudem als über alle irdischen wie fleischlichen Gelüste erhaben – eine Tugend, die zwiespältige männliche Reaktionen geradezu provoziert.
Denn die subversive Kraft der Enthaltsamkeit, dargestellt durch die Allegorie der Castitas oder die symbolische Lilie, ist ein Affront und unterläuft erotisch dominierte Erwartungen an die Frau. Denn galten (und gelten, bis heute, in konservativen Milieus) nicht körperliche Attraktivität und Verführungskraft als wesentliche weibliche Qualifikationen? So begründete sich die Faszination selbst für blutrünstige Frauengestalten in der Malereigeschichte – vorausgesetzt, diese vollführen ihre Aufgabe in vollem Einsatz ihrer femininen Reize.
Wie die schöne Witwe Judith: Sie rettet ihr Volk, indem sie den gegnerischen Feldherren Holofernes verführt und währenddessen enthauptet. Peter Paul Rubens malte sie um 1614 in körperlicher Wallung und mit entblößten Brüsten. Das Meisterwerk verbleibt allerdings aus konservatorischen Gründen in der Gemäldegalerie des Herzog Anton Ulrich-Museums.
Aber mit „Herkules bei Omphale“ von Lucas Cranach d. Ä. ist eines der beliebtesten Bilder des Hauses in der Ausstellung dabei. Herkules, der Weltenträger und männliche Held schlechthin, ließ sich von Königin Omphale betören, gab die Insignien seiner Macht, die Keule und das Löwenfell, ab und nahm Frauenkleider, Spindel und Faden an – zum Gespött der Hofdamen und zur Freude des gegenwärtigen Publikums. Es war also oft die Waffe der erotischen List und Demütigung, mit der Frauen über Männer triumphierten.
Am prominentesten gelang es wohl Phyllis, die sich an Aristoteles rächt, da er ihre Liebe zu seinem Eleven Alexander missbilligt. In der Mär macht sie ihn selbst liebestrunken und peitscht ihn, stolz auf dessen Rücken reitend, durch seinen Garten.
Und heute? Mit dem Motiv der gefährlichen Schönen operiert auch die Kölner Fotografin Ute Behrend, reduziert ihre Protagonistin auf den Revolver im Dekolleté. Aber immer in Bildpaaren denkend, gesellt Behrend zwei sich küssende Menschen daneben. Die Szene lässt in der Körperhaltung jedoch an den Kuss denken, den Luis Rubiales der Fußballweltmeisterin Jennifer Hermoso bei der Siegerehrung in Sydney aufdrückte.
Auch weitere Leihgaben aus dem Kunstmuseum Wolfsburg, die den Bogen zu Frauenbildern in der Gegenwartskunst schlagen sollen, bleiben ambivalent in ihrer Interpretation, etwa die japanischen Bondage-Praktiken, inszeniert von Nobuyoshi Araki, oder die Porträts androgyn queerer Menschen der indischen Multimediakünstlerin Tejal Shah. Letztere bilden den Ausklang der Ausstellung.
Das ehrwürdige Herzog Anton Ulrich-Museum gesellt sich mit dieser Schau zu den Museen und Ausstellungshäusern, die aktuell nach kunsthistorisch tradierten Geschlechterstereotypen oder marginalisierten Positionen fragen und ihre Sammlungsbestände gegen den Strich lesen. „Das ist der Auftrag an die Museen“, sagt Direktor Thomas Richter, „und in unserem ganz eigenen Interesse.“
„Weibermacht. Die schöne Böse“. Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig, bis 22. 2. 2026
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