Mit dem fuchsschlauen Bleistift notiert

LYRIK Beim dritten Gedichtband von Joachim Zünder lohnt es sich, den transzendenten Mantel zu lüften: „Rauchgeister“

In diesen Gedichten ist viel Platz für mal surreal-bibbernde, mal eklektizistisch anklingende Akzente

Aus „unvordenklicher, versteinerter, karbonisierter Zeit“ kommen ihre Stimmen. Sie verlassen „diesen unseren verkohlten Raum“, und die Augen, die sie sehen, sind „wie ein Tropfen, der niemandes Erfahrung ist“. So unbestimmt sind auf den ersten Blick die „Rauchgeister“ des Lyrikers Joachim Zünder. Sie wabern auf den Seiten des im Berliner Verlag Kaamos Press erschienenen gleichnamigen Gedichtbands zwischen Berlin und Finnland hin und her.

Das klingt vorerst arg nach nordischer Alltagsmystik, nach vorsichtig qualmenden Schatten zwischen Herbst und Winter. Und: Die vereinzelten poetologischen Einlassungen Zünders auf den knapp 90 Seiten des Bandes befeuern dieses konturschwache thematische Strohfeuer. „Das poetische Wort lebt von seiner Ungenauigkeit, seinem / Nichtwissen, seiner Dunkelheit, die im Innersten leuchtet“, heißt es in einem ebenfalls mit „Rauchgeister“ überschriebenen aphoristischen Zwischenkapitel.

Schwere hermetische Kost also? Nein. Wenn man den „transzendenten Mantel“, den Zünder gern über seine Texte zu legen scheint, etwas lüftet, kommen feine, ganz wunderbare Miniaturen ans Licht. Sätze, deren metaphorisch-situative Konsequenz durchweg poetische Überzeugungskraft hat. Sätze, die mit einem „fuchsschlauen Bleistift“ notiert wurden – wie im Gedicht „Gorki Park, Berlin“.

Dort heißt es einleitend: „Der tisch wackelt eine frau / streicht sich über den bauch / umzingelt von laptop-dingen / bist du in die regenfalle getappt“. Für den am „Jahrmarkt der Schlaflosigkeit“ leidenden Metropolisten wird treffend kostantiert: „du bist süchtig nach Raum, dem Kokain der Offenheit, dem weißen Pulver der in dich hineinfliehenden Städte.“ In der „Lichtschleuse Dezember“ sind „turmhohe geschäftsleute“ unterwegs, während im Gedicht „Monbijoupark“ die Tram „das gehör wie in der kindheit mit Strudeln füllt“.

Deutlich kontrastiert und doch stilistisch verwandt erscheinen dazu Bilder aus dem bitterkalten Jyväskylä („Good Hangover in Jyväskylä“): „schraube des winters / bereit dich zu tode zu drehen ein gewaltiger verzehrer von nordlicht / sekretär einer zur waffe gewordenen einsamkeit // doch davon weiß der taxifahrer nichts / die nacht ist still die trunkenheit ein gefrorener swimmingpool“.

„Rauchgeister“ ist Zünders dritter Gedichtband und bildet ein ästhetisch ausgereiftes, thematisch enggeschnürtes Kompendium der zwischen 1995 und 2007 entstandenen Texte. Der 1956 geborene Autor kreiert innnerhalb seiner Lyrik ein Beobachtungsklima, das oft bild- und wortgewandt Wetter und Protagonisten verschmelzen lässt.

Da ist viel Platz für mal surreal-bibbernde, mal eklektizistisch anklingende Akzente, aber eben auch für sprachreflexive Spielarten. Die Gedichte sind in einem Reisemodus geschrieben, der bemüht ist, die Energetik der Gedankengänge des lyrischen Ichs nachzuzeichnen, um letztlich ganz bei sich anzukommen: „Mit der Imagination kannst du in das Innere des Strohhalms schauen, an den du dich klammerst.“

Doch Zünders „Schreibtisch ist aus Luft, ohne Theorie“. Da wird dann das eigene „Bewusstsein“ zum Katheder, um den Geister kreisen und aus dem neue entspringen; Rauchgeister eben, denn: „Die Schrift verbrennt das Denken.“ JAN SCHEPER

Joachim Zünder: „Rauchgeister“. Kaamos Press, Berlin 2011, 90 Seiten, 24 Euro