: Fliegende Fische
Der Stadt Cuxhaven ist die Fischerei abhanden gekommen. Der Künstler Olafur Gislason hat diese Situation umgesetzt in seiner Arbeit „Strukturwandel“, die die taz hier in Auszügen dokumentiert
Cuxhaven, das war mal ein großer Name in Sachen Fischerei. Diese Zeiten aber sind für die Stadt an der Küste vorbei – die Schlüsselvokabel für Cuxhaven heißt seitdem „Strukturwandel“. Genau so hat der isländische Künstler Olafur Gislason seine Arbeit für den Cuxhavener Kunstverein betitelt, die derzeit im Rahmen des Ausstellungsprojekts „A Whiter Shade of Pale“ (taz berichtete) noch bis zum 26. Juni präsentiert wird.
Gislason hat Gespräche mit Kapitänen, Krabbenfischern und Fischhändlern über die Situation in Cuxhaven geführt und diese Gespräche zu einem Text kondensiert. Am Nordseekai im alten Fischereihafen hat er einen geschlossenen Bühnenraum gebaut, der von außen einzusehen ist. Im Inneren stellt eine Akrobatin zu bestimmten Zeiten das Thema „Strukturwandel“ körpersprachlich dar, während die Berichte der Fischereiexperten aus Lautsprechern zu hören sind – gelesen von einem professionellen Sprecher. Die taz dokumentiert Auszüge aus dem Text.
Das eigentliche Problem fing mit Island an – seit die Deutschen begonnen haben, mit Trawlern, mit Fangfabrikschiffen vor Island zu fischen. Da haben die Isländer Angst bekommen. Und das nicht ganz zu Unrecht. Es sind ja nicht nur die Deutschen gewesen, die da gefangen haben, sondern auch die Russen und die Japaner. Die Deutschen haben den Rotbarsch um Island als ihren Hauptartikel gefangen. Nachdem Island die Grenze um sein Land erweitert hat, wurde das immer schwieriger. Die Versäumnisse liegen bei uns, weil man das nicht rechtzeitig erkannt hat.
Zum Beispiel haben die Deutschen gesagt: „Wir haben da immer gefischt, wieso dürfen wir jetzt nicht mehr in Isländischen Gewässern fischen?“ Sie hätten mit den Isländern sprechen sollen. Vielleicht hätte man für Deutschland mehr rausholen können, wenn man rechtzeitig mit den Isländern gesprochen hätte. Die Folge war, dass die Seemeilen um Island immer mehr erweitert wurden. So haben wir unser traditionelles Fanggebiet verloren. Gleichzeitig hat ein verstärktes Fischen eingesetzt. Auch die Anderen haben ja in der Nordsee, in der Barentssee und überall gefischt – und zwar exzessiv gefischt.
Wir kannten nur die Fischerei in Grönland und die Herings- und Makrelenfischerei in der Nordsee um Irland, England und Schottland, bis in die Biskaya rein. In der Saison sind wir da hingefahren. Ansonsten waren wir nur im Nordatlantik, in Norwegen, Spitzbergen auf Kabeljau, Rotbarsch, Tiefseebarsch. Den Brotfisch der Deutschen, Rotbarsch und Kabeljau, haben wir um Island und in der Barentssee gefangen. Dann wurde der Kabeljau weniger, weil er überfischt war, aber auch bedingt durch globale Klimaveränderungen: Das Wasser wurde kalt, es gab kein Wechselwasser mehr.
Früher war es so: Wenn in der Barentssee Fisch war, war unter Grönland kein Fisch, war unter Grönland Fisch, war in der Barentssee kein Fisch, war unter Grönland und in der Barentssee kein Fisch, war der Fisch in Labrador oder Neufundland. Irgendwo war der Kabeljau dann immer. Wir konnten immer ausweichen. Aber jetzt ist er weder unter Kanada noch unter Grönland, nur noch in der Barentssee.
Wir Deutschen haben ja die Erfahrung gemacht, als wir den Hering runter gewirtschaftet hatten. Wir hatten die Heringspopulation soweit dezimiert, dass kaum noch Heringe in der Nordsee waren. Da haben wir neun Jahre Stopp gemacht. Neun Jahre keine Heringe mehr gefischt. Da bliebst du dann bald im Hering stecken. Danach kamen Bombenjahre.
Cuxhaven ist ja nicht mehr in Konkurrenz zu Bremerhaven. Sondern Cuxhaven und Bremerhaven stehen in Konkurrenz mit Häfen in Dänemark, in Holland oder in England. Man muss das europaweit, wenn nicht weltweit sehen. Im Frischfischbereich zählt natürlich die unmittelbare Konkurrenz der Anrainerstaaten wie Holland und Dänemark. Aber im Frostbereich leiden wir ja nicht unter EU-Mitgliedstaaten, sondern hauptsächlich unter russischen, koreanischen und chinesischen Flotten.
Island ist Vorreiter gewesen, auch Holland, wenn ich die Flotten sehe, die Schwarmfisch fangen, die Heringe und Makrelen fangen oder die Flotte, die den Blauen Wittling fängt. Er wird als Ganzfisch nach China geschickt, wird dort aufgetaut, zu Filet geschnitten und kommt dann wieder zurück. Das ist immer noch billiger, als ihn hier zu bearbeiten. Es gibt holländische Reedereien, die ihre Heringe nach China schicken. Die Chinesen schneiden die Heringe auf und holen den Rogen raus. Der Rogen geht für teueres Geld nach Japan. Und die Chinesen bekommen kein Geld dafür, sondern sie bekommen die Heringe.
Die haben zum Beispiel beim Kabeljau gedacht, die Menge ist unendlich, jedes Kabeljauweibchen hat zwei Millionen Junge. Innerhalb von acht bis zehn Jahren hat man gesehen, dass doch alles endlich ist. Und so ist es fast mit jeder Sorte gewesen. Heute sind nur noch wenige da, die die ganze Entwicklung miterlebt haben. Als Brüssel angefangen hat, die Quoten zu begrenzen, da war es schon zu spät. Im Grunde genommen wäre es vernünftig, wenn jetzt zehn Jahre gar nicht gefischt würde. Aber was ist dann mit den Reedereien? Was ist dann mit den Leuten, die in der Fischindustrie arbeiten? Wenn wir eine nachhaltige Fischerei machen wollen, dann heißt es nur noch, das fischen, was vernünftig ist. Dann werden noch mehr Leute arbeitslos. Das ist auch schlimm.
Früher ist es so gewesen, dass fast 100 Prozent der Anlandung über Fischauktionen stattgefunden hat. In den 60er Jahren hatten wir jeden Tag in der Auktion 20.000 Zentner Fische. Und wir hatten jeden Tag ein oder zwei isländische Importeure, bis Mitte der 80er. Dann war es vorbei. Da haben die Isländer angefangen, den Fisch zu Hause zu verarbeiten. Die haben also die Fische in Island angelandet und haben dann das Filet verkauft, gefroren oder auch frisch per Flugzeug. Was auch Sinn macht, wenn man das der Wirtschaft daheim überlässt.
Erst seit den letzten 20 Jahren ist es so, dass man per Flugzeug Fische verschicken kann, im Container oder in Lkws. Der größte deutsche Fischereistandort ist heute der Flughafen in Frankfurt.
Frischfisch kommt von überall her und wird rumgereicht. Die Russen liefern nach Norwegen, die Norweger liefern nach Dänemark und so weiter. Der Frischfischfang ist risikoreich. Es lohnt sich heute nur noch, wenn sie Fische fangen und die selber auch vermarkten können. Wie die Kutterfischzentrale zum Beispiel, die hier an die „Deutsche See“ und an die Metro liefert – das sind die großen Abnehmer. Alle anderen sind Nischenanbieter. Die müssen sich den Fisch von wo anders her besorgen.
Was ist die Zukunft in Sachen Fisch, wohin geht die Esskultur? Sie können Frankreich nicht mit Deutschland und Italien vergleichen. In Frankreich wird viel mehr Geld für Essen ausgegeben. In Deutschland ist das Auto wichtiger oder der Fernseher. Die Frage ist, wer wird in Deutschland in Zukunft den Fisch vertreiben? Wenn sie Fisch bei Aldi oder Lidl kaufen können – ich weiß nicht, ob die Ware die Pflege bekommt, die der Fisch eigentlich verdient, oder ob wir nicht doch Fachgeschäfte dafür brauchen. Man findet inzwischen nicht mehr viele Fachgeschäfte.
Der Frischfisch wird immer seinen Markt haben. Mit Frostfisch brauchen wir uns nicht beschäftigen. Und mit Fastfood schon gar nicht. Wir müssen versuchen, Frischfisch nach wie vor in einer hervorragenden Qualität und wirklich frisch als naturbelassenes Produkt auf den Markt bringen. Dann werden sie immer ihr Klientel für ihr Produkt finden. Das ist die Stärke, die wir haben: Vor Ort produzieren und innerhalb von 24 Stunden in Deutschland auf den Markt bringen. Das kann so schnell kein anderer.
Früher waren die Heringsbetriebe in Cuxhaven ansässige Familien. Die Fischerfamilien haben einen Betrieb gehabt, auch in der Konservenproduktion. Es gab die Fischunion und die Firma Werber & Schuett. Aber heute sind das europaweit oder weltweit tätige Handelskonzerne. Oder es sind Investment Gesellschaften von irgendwelchen Banken. Die haben Fonds aufgelegt, kaufen diese Firmen, möbeln sie auf, und verkaufen sie wieder.
Cuxhaven wird immer beim Frischfisch bleiben, denn da brauchen sie kurze Wege. Aber alles was mit industrieller Verarbeitung, Heringen, Makrelen, Frostprodukten zu tun hat … Es sind schon jetzt keine ortsansässigen Firmen mehr. Es sind alles große Konzerne, die noch Produktionsstätten in Cuxhaven haben. Die Geschäftsleitung dieser Firmen sind keine Cuxhavener, die fühlen sich auch nicht mit dem Standort verbunden. Das sind Wochenendschläfer, die kommen hier her um zu arbeiten und fahren am Wochenende wieder nach Hause. Denen ist es egal, ob die Fabrik in Cuxhaven steht oder in Bremen oder in Hannover oder sonst wo. Die machen ihren Job. Die wissen, der Profit pro Dose ist fünf Cent und was drin ist, ist letztlich egal. Das ist bei den großen Konzernen so. Wenn es sich nicht mehr rechnet, dann wird der Produktionsbetrieb eben zugemacht. Die Identifikation mit dem Standort gibt es in diesem Sinne nicht mehr.