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Archiv-Artikel

„Wir sind alle Amseln“

Im Wechsel der vier Jahreszeiten durch Wald und Flur: Neues Umweltbildungsprojekt des Naturschutzbunds Hamburg bringt Kindern die Tier- und Pflanzenwelt näher. Das „Fuchs-Mobil“ besucht die beteiligten Gruppen auch im Kindergarten

von Sebastian Bertram

Morgens um halb elf auf einem kleinen Parkplatz am Rande des Wohldorfer Waldes, hoch oben im Nordosten Hamburgs. Die noch kalte Frühlingsluft duftet nach feuchtem Unterholz; erst vor wenigen Stunden hat es aufgehört zu regnen. Ins Gezwitscher der Vögel mischen sich aufgeregte Kinderstimmen: Eine Gruppe fünf- bis sechsjähriger Jungen und Mädchen strebt zielgerichtet einem weißen Kleinbus zu, auf dessen Seitentür ein großer Comic-Fuchs prangt. Die 15 Kinder vom Ohlstedter Kindergarten „Am Kirchberg“ und ihre Betreuerinnen sind hier verabredet– mit Heinz Peper vom Naturschutzbund Nabu.

Peper und sein „Fuchs-Mobil“ wollen „Kinder zu Umweltfreunden“ machen. „Der Drang, Neues zu entdecken, ist im Vorschulalter am größten“, weiß der Diplombiologe und Umweltpädagoge, der gemeinsam mit einem Kollegen das Bildungsprojekt leitet. „Im Wechsel der Jahreszeiten wollen wir mit regelmäßigen Waldführungen und Informationsveranstaltungen bei kleinen Kindern ein nachhaltiges Bewusstsein für die Natur schaffen.“ Ein Jahr lang begleiten die beiden Nabu-Mitarbeiter insgesamt fünf Gruppen aus vier Hamburger Kindertagesstätten.

Früh Neugier wecken

Eine Woche vor dem Ausflug hatte Peper die Ohlstedter Gruppe bereits in ihrem Kindergarten besucht. Im Gepäck: Baumscheiben, Pilze und ausgestopfte Waldtiere, Anschauungsmaterial, das das „Fuchs-Mobil“ transportiert – ein rollendes Naturkundemuseum und Umweltforschungslabor zugleich. In Kisten, Kästen und Schubladen lagern neben gepressten Blättern, Schautafeln und Eiersammlungen Mikroskope, Becherlupen und Gerät zur Entnahme und Analyse von Bodenproben.

Schwungvoll rollt Heinz Peper die Seitentür des Kleinbusses beiseite. Möglichst nah drängeln sich die Kinder heran und recken die Hälse. „Wisst ihr, welches das größte Tier ist, das hier im Wald lebt?“, fragt der Umweltpädagoge in die Runde. Während die Vorschläge „Blauwal“, „Dino“ oder „Zecke“ sofort ausscheiden, kommt „Reh“ der richtigen Antwort schon näher. „Der Hirsch“, flüstert schließlich zögerlich ein Mädchen und prompt zieht Peper aus dem Wageninneren zwei Damhirschgeweihe hervor. Eifrig streicheln und betasten die Kinder die prächtigen Gehörne, ein Fünfjähriger würde am liebsten einen Zacken als Andenken mit nach Hause nehmen.

Kurz nachdem der Waldspaziergang gestartet ist, gerät er wieder ins Stocken. Ein Baumpilz, der in drei Metern Höhe aus einem toten Baumstamm hervorlugt, soll begutachet werden. Die fachmännische Erklärung, dass es sich hierbei um den Fortsatz eines einzelnen Pilzes handelt, der im Inneren des Stammes wächst und das Holz morsch macht, bekommen die Kinder gerade noch so mit. Größeres Interesse allerdings weckt die Hand voll Schließmundschnecken, die ein Junge soeben erspäht hat. Statt nach oben zu gucken, suchen nun dreißig Kinderaugen den Waldboden ab.

Immer wieder weisen die Kleinen lauthals auf eigene Entdeckungen hin. Selbst ein Regenwurm wird bei solchem Forscherdrang zum spektakulären Fund. Als Peper erzählt, welche Technik die Amseln anwenden, um Würmer an die Erdoberfläche zu locken, wird das umgehend ausprobiert. „Wir sind alle Amseln, wir sind alle Amseln“, johlen die Kinder und trampeln auf dem Boden. Und tatsächlich kriechen bald mehrere Regenwürmer über den feuchten Humus.

Je länger der Waldausflug dauert, desto mehr muss der Biologe um die Aufmerksamkeit der Kleinen ringen. Ein Spiel sorgt für Auflockerung: Jedes Kind soll drei weiße Bohnen an unterschiedlichen Orten so verstecken, dass es sie nach einer fünfminütigen Pause wiederfindet – wie es den Eichhörnchen mit ihren Nüssen gelingt.

Spieltrieb nutzen

„Auf die Plätze, fertig, los!“, ruft Heinz Peper, und im Nu stieben alle auseinander und verteilen sich unter den hohen Buchen. Am Ende haben es sechs Kinder geschafft, ihren kompletten „Wintervorrat“ wieder aufzuspüren. Ein Mädchen hat zwar nicht alle Bohnen, dafür aber eine einleuchtende Erklärung: „Meine Bohnen hat ein Eichhörnchen gestohlen“, verkündet es mit verschmitztem Lächeln.

Ein Waldpicknick mit Butterstullen von zu Hause und ein den Klopfzeichen der Spechte nachgeahmtes „Baum-Telefonat“ zwischen Peper und den Kindern beenden die Exkursion – für heute. Beim nächsten Treffen wird die Insektenwelt unter die Lupe genommen.