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Archiv-Artikel

Salzener Heinz

Wirr, trashig, gelungen: Die Uraufführung der grotesken Harburger Heimatoperette „Phoenix – Wem gehört das Licht“ im Schauspielhaus

von Katrin Jäger

Ein kleines Einfamilienhaus steht auf der Bühne, aufgeklappt, Ansicht Puppenstube. Oben im winzigen Giebelzimmer kauert der Jugendliche Heinz (Guido Lambrecht), physisch längst herausgewachsen aus seinem Harburger „Zwergenhaus“. Heinz komponiert seinen ersten Song, sein Lebensthema „you got to give me a chance“ mit einem schrabbeligen Ghettoblaster und Anja (Lana Cooper), der Berufsschülerin mit der klangvollen Stimme. Heinz träumt von der großen, weiten Welt des Showbizz, nördlich der Elbe, von Kiez und Co. Er will weg von seiner Kernfamilie, der psychotischen Mama (Heinz Strunk), der kontrollsüchtigen Oma (Jaques Palminger) und dem kriegsbegeisterten Opa (Rocko Schamoni).

Bei der Uraufführung von Phoenix – Wem gehört das Licht am Himmelfahrtsabend im Schauspielhaus tobte das Publikum. Darunter nicht wenige, die bereits Heinz Strunks autobiographische Romanvorlage Fleisch ist mein Gemüse verschlungen hatten. Die drei Anarcho-Komiker von Studio Braun – Strunk, Palminger und Schamoni – haben diese Heimatgroteske glänzend in Szene gesetzt. Mit einer guten Portion Selbstironie, mit einem wunderbaren Guido Lambrecht als Anitheld Heinz.

Heinz Strunk daselbst wiederum mimt seine eigene Mutter. Die Strenge, die Psychotische, die vom Krankenbett aus Terrorisierende, im grünen Rock und roter Strickweste: das personifizierte Nichtverstehen. Palminger stolziert als Oma mit Hühnerfüßen über die Bühne, die Damian Hitz als naturalistische Zwergenwelt eingerichtet hat. Und Opa Schamoni schäumt vor erotischer Begeisterung, als er dem Enkel jeden Abend dieselbe Geschichte aus seinem Kriegstagebuch bringt, die davon handelt, wie er dicht gedrängt mit den Kameraden im Schützengraben liegt.

An Stelle der regulären Pause servieren die Darsteller dem Publikum in der Halbzeit Variationen in Ei: hart gekocht mit Mayo, dazu ein Eierlikörchen. Wie bei einer Tupperparty zieht das Regieteam so die Zuschauer in die Provinzposse hinein. Kein Halten gibt es, als ein riesiges Kofferradio auf die Bühne rollt. Die Vorderfront hebt sich, das Innenleben entpuppt sich als die Tanzkapelle „Evergreens“, die in den 1980er Jahren tatsächlich die Menschen in den Marschlanden auf Hochzeiten, Beerdigungen und Schützenfesten zum Swingen brachte. Drei Männer in lila Glitzerjacketts heizen den Partygästen ein. „Verdammt lang her“ schnulzt der Bandleader. Das Publikum swingt mit, bei „life is life“ klatschen alle im Takt, die ironische Distanz löst sich in Begeisterung auf.

Heinz, Keyboarder der Band, hält das nicht aus. Unglücklich flieht er in die Einsamkeit vor den Bühnenvorhang. „Ich bin ein Dünnflüssiger, hergestellt in den Werkstätten von Kleinmeisterinnen. Ich schaffe es nicht ins Licht“, resümiert er. Und tatsächlich: Sobald er es geschafft hat, in den Lichtkegel des Bühnenscheinwerfers zu gelangen, huscht dieser weg, Heinz steht im Dunkeln. Da zeigt das Leiden dieses jungen H. für einen kurzen Moment seine unverblümte Fratze. Kurz genug, um nicht ins Barocke zu kippen. Denn der Deus ex Machina erscheint, auf der Leinwand, über und hinter dem verwirrten Jugendlichen: Heinz Strunk. „Du bist meine Figur, ich bin dein Schöpfer, ohne mich wärst du nicht hier“, er; mit der Hand knetet er einen Salzteig-Heinz. Hebt er dessen Arm, muss das der arme Junge vorne auf der Bühne auch; befiehlt Strunk der Figur zu tanzen, so tanzt auch er. Er hat etwas bewegend Mythisches, dieser Satirekosmos des Studio Braun, rhythmisch gepaart mit gelungen trashigen Showeinlagen.

weitere Vorstellungen 14., 21., 30.5., 20 Uhr, Schauspielhaus