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Archiv-Artikel

Geliebte und ungeliebte Ruinen

Gedächtniskirche – ja, Mauer – nein. Die eine Ruine wird in den Rang eines Wahrzeichens gehievt, die andere lässt man verschwinden. Berlin tut sich schwer mit seinen Ruinen und ihrer Geschichte. Das hat Gründe. Eine Bestandsaufnahme

VON WALTRAUD SCHWAB

Berlin ist eine junge Stadt. Eine, deren ältestes Denkmal keine Ruine, sondern ein Baum im Tegeler Forst ist. „Dicke Marie“ heißt die Eiche. Ungefähr 900 Jahre alt sei sie. Die Humboldt-Brüder, die in der Nähe wohnten, haben sie vor 200 Jahren nach ihrer Köchin benannt. Allerdings gehört die Dicke Marie auch erst seit 1920, mit der Eingemeindung Tegels, zur Metropole.

Echte Ruinen hat in Berlin erst der Zweite Weltkrieg hinterlassen. Einige von ihnen werden wie Kleinode gepflegt. Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche etwa. Zwischen 1961 und 1989 war der zerstörte Kirchturm das Wahrzeichen Westberlins. Heute ist jene Halbstadt als historischer Transit des Kalten Krieges ad acta gelegt. Als Erinnerung an die Bombardierung hat die Ruine der Gedächtniskirche jedoch einen festen Platz in der Stadt.

Auch was vom Anhalter Bahnhof noch übrig ist, war Orientierungspunkt in der Westberliner Ortslosigkeit. Abgeschnitten von der Welt steht die Front des vor 125 Jahren eröffneten Kopfbahnhofes noch. Im Krieg beschädigt und durch die Mauer seiner Funktion beraubt, war der Bahnhof Anfang der 60er-Jahre bis auf seine Eingangsfront abgerissen worden. Diese und die Gedächtniskirche sind bewusst gesetzte Westberliner Zeichen; dreidimensionale Ikonen, die auf Postkarten abgebildet sind.

Erst die Leute, die auf die Suche nach der „Topographie des Terrors“, den architektonischen Spuren der Gewaltherrschaft unter den Nationalsozialisten, in Westberlin gingen, wurden zu einer Konkurrenz des Ruinenkults, der touristisch wertschöpfend genutzt werden konnte.

Die „Topographie des Terrors“, die vor allem zwischen der Stresemannstraße und Wilhelmstraße gefunden wurde, ist eine Herausforderung. Im Grunde gab es dort nach dem Krieg bald keine Ruinen mehr, sondern eine Brache, die teilweise als Verkehrsübungsplatz genutzt wurde. Nichts erinnerte daran, dass da vormals die Zentralen der nationalsozialistischen Unterdrückungspolitik standen: die Geheime Staatspolizei mit dem berüchtigten Gestapo-„Hausgefängnis“, der Sitz der SS-Führung und das Reichssicherheitshauptamt. Hier war das Revier des Schreckens, in dessen Folterkellern Grausames am Menschen vollendet wurde.

Nach dem Krieg wurden die von Bomben beschädigten Gebäude nicht nur abgetragen, auch ihre Kellergewölbe und Katakomben wurden zerstört. „Tiefenenttrümmerung“ wird der Vorgang genannt, der die unterirdischen Spuren verwischte.

Erst in den 80er-Jahren wurde, was von den Kellern noch übrig blieb, wieder ausgegraben, um an die nationalsozialistische Gewalt zu erinnern. Die „Topographie des Terrors“ sollte hier rekonstruiert werden, damit an ihr gelernt wird: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!

Als jedoch Geld bereitgestellt wurde, um „die Topographie des Terrors“ in den Rang einer dauerhaften Erinnerungsstätte umzuwandeln, entwickelte sich daraus eine Bauposse, wie sie in Berlin nicht selten vorkommt. Der Bauentwurf des Schweizer Architekten Peter Zumthor stellte sich als unbaubar heraus. Mehrere Baufirmen gingen bankrott, die Kosten stiegen ins Unkalkulierte. Die vor einem Jahr ins Amt gekommene Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer zog einen Schlussstrich: Sie entschied, dass der Zumthor-Entwurf verworfen wird. Die Verantwortung für die „Topographie des Terrors“ wurde vom Land an den Bund übergeben.

Mit der Maueröffnung 1989 entstanden ganz neue Ruinen, deren sich die Berliner mit rasender Geschwindigkeit entledigten: nämlich die Mauer selbst. Keine Narbe prägt die Stadt mehr als diese. Heute, 15 Jahre nach der Wiedervereinigung, werden ihre Reste, die sich nur noch als kaum sichtbare Spur die Straßen entlangziehen, gesucht. „Wir haben das falsch eingeschätzt“, meint die Bausenatorin, die nun nach einer Form des Mauergedenkens suchen muss, die nicht nur den Intellekt, sondern auch das Herz bedient.

Berlin hat ein ambivalentes Verhältnis zu seiner Geschichte, Damit lässt sich erklären, dass die Ruinen der Stadt auf ganz unterschiedliche Weise gepflegt werden. Auf der einen Seite stehen die Gedächtniskirche, Anhalter Bahnhof und neuerdings auch die Fundamente des von der DDR gesprengten und abgerissenen Stadtschlosses, das dem Willen der Politiker und Lobbyisten zufolge wieder aufgebaut werden soll.

Ihnen stehen auf der anderen Seite die Mauer, die „Topographie des Terrors“ und neuerdings der in der DDR errichtete Palast der Republik gegenüber. Die einen kommen geliebt, bestaunt, restauriert daher, die anderen bleiben ungeliebt, werden zugeschüttet und dem Verfall preisgegeben.

Bei genauerem Hinsehen treten die Hintergründe dieser ambivalenten Haltung ganz offen zutage: Gedächtniskirche, Anhalter Bahnhof, Schloss – dies sind Denkmäler der Vergangenheit, die die Deutschen als Opfer der eigenen Geschichte erscheinen lassen. Es sind Erinnerungsstücke, die dem Passiv verpflichtet sind. Topographie, Mauer und Palast hingegen – dahinter verbirgt sich Tätergeschichte. Unrühmliche Akteure und falsches Handeln werden mit diesen Ruinen in Verbindung gebracht. Wenig verwunderlich daher, dass man sie loswerden will.