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„Ich war in allem rebellisch“

Ein Atelierbesuch bei Sandra Vásquez de la Horra in Berlin. Mit „Soy Energía“ wird das Haus der Kunst in München eine große Schau der chilenischen Künstlerin präsentieren

Sandra Vásquez de la Horra in ihrem Berliner Atelier Foto: Ryan Molnar

Von Eva-Christina Meier

Wir sind im Atelier von Sandra Vásquez de la Horra am Südstern in Kreuzberg verabredet. Schon im Treppenhaus des Berliner Altbaus höre ich aufgeregtes Bellen. An der Wohnungstür erwarten mich die zierliche Künstlerin und ein kleiner drahtiger Hund, der mir aus ihren Zeichnungen seltsam bekannt vorkommt. Die hohen Räumen, durch Flügeltüren miteinander verbunden, gehen fließend ineinander über. Auf dem riesigen Tisch im hellen Erkerzimmer liegen ein paar Stifte und Aquarellfarben verteilt. Neben der Tür steht noch das Modell der achteckigen Installation „Las cordilleras encontradas“ (dt. „Die gefundenen Gebirgsketten“), angefertigt für die Kunstbiennale in Venedig 2022.

Tags zuvor hatte bereits der Transport ihrer Werke für die große Ausstellung im Haus der Kunst nach München stattgefunden. In München wird Sandra Vásquez de la Horras Überblicksschau „Soy Energía“ (dt. „Ich bin Energie“) am 14. November eröffnen und neben aktuellen Zeichnungen auch frühe, unbekannte interdisziplinäre Arbeiten, Videos und Malerei präsentieren. Spätestens seit ihrer viel beachteten Teilnahme an der Gruppenausstellung „Milk of Dreams“ im Arsenale auf der 59. Biennale von Venedig wecken die szenografisch inszenierten Papierarbeiten der Berliner Künstlerin international Aufmerksamkeit.

Dabei ist Sandra Vásquez de la Horras künstlerische Entwicklung bemerkenswert eigenständig. Von einigen Unterbrechungen abgesehen lebt die Chilenin nun seit über dreißig Jahren in Deutschland. Von hier aus verbindet sie in ihrem Werk biografische Erfahrungen mit den Landschaften und Mythologien Lateinamerikas.

In den 1990er Jahren war sie dem Vater ihrer neugeborenen Tochter, einem chilenischen Maler, nach Düsseldorf gefolgt. Dort an der Kunstakademie studierte sie 1995 ein Jahr bei Jannis Kounellis. Dass sie mit dem namhaften Vertreter der Arte Povera auf Italienisch sprechen konnte, war damals von Vorteil. In ihrem Geburtsort, der chilenischen Küstenstadt Viña del Mar, hatte sie eine italienische Schule besucht. 2001 beginnt sie zusätzlich Animation an der Kunsthochschule für Medien in Köln zu studieren. Dann zieht sie mit der Tochter nach Berlin.

Seit ihrer Kindheit in Viña del Mar zeichnet, malt und fotografiert die Künstlerin. Bereits als Teenagerin belegt sie Kurse an der Kunstschule im benachbarten Valparaiso. 1967 geboren, gehört Sandra Vásquez de la Horra zu jener Generation in Chile, die ihre Kindheit und Jugend in den Jahren der Militärdiktatur erlebte. Sie wächst in einer Familie auf, die das Regime befürwortet und besucht eine Schule, wo man Mussolinis Faschismus gedenkt. „Aber ich war in allem rebellisch, sogar in Bezug auf die Religion. Ich war die Einzige, die nicht zur Firmung in der Schule ging, was ein kleiner Skandal war.“

Wie in chilenischen Familien der Ober- und Mittelschicht lange Zeit üblich, wurde auch Sandra Vásquez de la Horra von einer indigenen Hausangestellten aufgezogen. Durch diese lernt sie eine andere Vorstellungswelt kennen, welche die nativen Kulturen ihres Heimatlandes repräsentiert.

Láscar, Licancabur, Lonquimai, das sind nur einige Namen der unzähligen Vulkane, die sich entlang der Kordilleren, der andinen Gebirgskette aneinanderreihen und die Landschaft Chiles auf einmalige Weise prägen. Sie gelten als spirituelle Orte und energetisches Symbol. Vásquez de la Horra greift dieses Motiv vielfach und in großformartigen Leporellos auf. Die objekthaft aufgefalteten Zeichnungen, in leuchtenden Farben des Regenbogens, zeigen liegende, teilweise verschlungene Frauenkörper, deren äußere Silhouette die schlafenden Gipfel der Anden abzubilden scheinen.

„Los volcanes despiertos“, die erwachten Vulkane, so heißt eine weitere aktuelle Museumsausstellung der Künstlerin. Sie ist nach Stationen in Denver, Santiago de Chile und Buenos Aires noch bis März 2026 im Institute of Contemporary Art in Los Angeles zu sehen ist. Erstmalig ermöglichte es diese internationale Kooperation, Sandra Vásquez de la Horras Papierarbeiten auch dem chilenischen Publikum in einer institutionellen Werkschau vorzustellen. In Berlin erhielt die Käthe-Kollwitz-Preisträgerin von 2023 zudem zuletzt größere Sichtbarkeit durch ihre facettenreich konzipierte Ausstellung „Das Rauschen des Kosmos“ in der Akademie der Künste im Hansaviertel.

Vásquez de la Horras Bildwelten zeugen von großer Neugier. Sie beschäftigt sich mit Botanik, Psychoanalyse, Dichtung und Kunstgeschichte genauso wie mit Buddhismus, Kosmologie der indigenen Mapuche oder afro-karibischer Santería. „Letztendlich glaube ich, dass die Mischung aus verschiedenen Interessen und an verschiedenen Strömungen mir sehr dabei geholfen hat, aus dieser typisch chilenischen Welt herauszukommen, die im Grunde genommen sehr abgeschottet ist.“

Sandra Vásquez de la Horra

Künstlerin: 1967 geb. in Viña del Mar, Chile. Lebt in Berlin. Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Jannis Kounellis, Rosemarie Trockel sowie an der Kunsthochschule für Medien in Köln.

Auszeichnungen: Hans Richter Preis der Sächsischen Akademie der Künste 2021, Käthe Kollwitz Preis der Akademie der Künste, Berlin 2023.

Ausstellungen: „Milk of Dreams“, Kunstbiennale Venedig 2022; „Das archetypische Ich“, Gutshaus Steglitz Berlin, 2023; "Das Rauschen des Kosmos", Akademie der Künste Berlin, 2024; "Los volcanos despiertos", Denver Arts Museum 2024 mit weiteren Stationen in Santiago de Chile, Buenos Aires und Los Angeles, 2025.

Tiere, Pflanzen, fledermaus- und andere comichafte Mischwesen tummeln sich auf den überwiegend monochrom gehaltenen Graphitzeichnungen. Meist dominieren Frauenkörper die surreal anmutenden Szenen zwischen Lust und Leid oder verschmelzen in fantastischen Landschaften. Totenköpfe, als Maske oder Konterfei dargestellt, vermitteln weniger Schrecken als Transzendenz.

„No pasarán, los venceremos mi amor“– historische Parolen wie dieser abgewandelte Schlachtruf aus dem Spanischen Bürgerkrieg, der sich in großen Serifen über die plastisch schraffierte Rockfläche einer tastend vorwärts schreitenden Frauengestalt legt, ruft in diesem Zusammenspiel ganz neue, weniger heroische Assoziationen auf.

Im Zentrum der künstlerischen Praxis von Sandra Vásquez de Horra steht das Zeichnen, die Erforschung seiner Möglichkeiten und Grenzen. „Zur Zeichnung bin ich zurückgekehrt, weil diese Unmittelbarkeit des Zeichnens für meine Ideen und den Fluss der Ideen fantastisch war. Die Entscheidung hat also weder mit dem Ansehen oder dem Wert eines Kunstwerks zu tun. Ich habe meine Arbeiten nicht einmal firmiert, weil ich gar nicht diesen Anspruch hatte. Es war eher ein lebendiges Tagebuch als ein Kunstwerk, abgesehen von der Sprachbarriere. Das Zeichnen war meine Art, die Isolation zu überwinden.“

„Das Zeichnen war meine Art, die Isolation zu überwinden“

In einer Ecke der Berliner Atelierwohnung parkt eine mittelgroße Propangasflasche, daneben eine flache Metallwanne.

Mit dieser einfachen Vorrichtung wird ein Bienenwachsbad erhitzt, durch das die Künstlerin ihre fertiggestellten Zeichnungen zieht und den Papierarbeiten damit eine objekthafte Festigkeit verleiht. Die Maße der Wachswanne setzen dem Papierformat natürliche Grenzen. Doch Sandra Vásquez de la Horra hat aus dieser vermeintlichen Limitierung eine Stärke gemacht und gruppiert zwei, drei oder vier Zeichenbögen zu eindrucksvollen Wandarbeiten. In Wachs getaucht entstehen zudem neben jenen im Raum aufragenden Leporellos seit 2014 rätselhaft berührende Häuser und Dioramen als dreidimensionale Objekte.

Risikofreudig und virtuos entwirft die chilenische Künstlerin hier am Südstern eine Zeichenwelt, die Erfahrungen des südamerikanischen Kontinents berücksichtigt und sich aus vielfältigen Perspektiven speist.

„Sandra Vásquez de la Horra. Soy Energía“. 14. 11. 25 bis 17. 5. 26. Haus der Kunst, München www.hausderkunst.de

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