piwik no script img

Erste Krise in der Zweckehe

Einen Tag nachdem Polizei und Antifa gemeinsam die NPD gestoppt haben, haben sich beide schon nicht mehr lieb. Jeder lobt sich selbst und betont: der 8. Mai bleibe ein One-Night-Stand ohne Folgen

VON PLUTONIA PLARRE UND FELIX LEE

Alle klopfen sich auf die Schulter und sagen, der 8. Mai war ein Erfolg: der Regierende Bürgermeister, der Innensenator, die Polizei, die Volksvertreter, ja selbst die Antifa. Eine gemeinsame Protestfront von engagierten Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft hat bewirkt, dass nach letzter Polizeizählung 3.325 Neonazis am Sonntag unverrichteter Dinge nach Hause fahren mussten. Das war’s dann aber auch. Von der neuen Gemeinsamkeit, die am Sonntag für einige Stunden aufgeblitzt ist, und die in dem an die Gegendemonstranten gerichteten Satz eines Polizeibeamten endete – „Danke für Ihre Mitarbeit und den friedlichen Protest“ –, war gestern kaum noch etwas zu spüren.

Wie immer nach Großereignissen folgte im parlamentarischen Innenausschuss die Auswertung. Selten waren sich die Abgeordneten in der Einschätzung so einig wie gestern. Lob, Lob und nochmals Lob für die Polizei. Das gipfelte in dem Ausspruch von Frank Henkel (CDU), der es als „polizeiliches Meisterstück“, bezeichnete, die Neonazis auf dem Alexanderplatz zu isolieren. Auch die Berliner wurden aufs Siegertreppchen gehoben. Von einem „Triumph für die Stadt“ und einem 1:0 gegen die Neonazis war die Rede.

„Zwei Aspekte“ haben den Einsatzleiter vor Ort laut Polizeipräsident Dieter Glietsch am Sonntag dazu bewogen, die Rechtsextremen nicht demonstrieren zu lassen: die große Anzahl von mehr als 5.000 friedlichen Straßenblockierern allein am Berliner Dom. „Es wäre unverhältnismäßig gewesen, die Wegstrecke durch den Einsatz von Zwangsmitteln frei zu machen“, so Glietsch nach dem Innenausschuss zur taz. Der zweite Grund: rund 1.000 „gewaltbereite Linksextremisten“, die fortgesetzt versucht hätten, Angriffe gegen die Neonazis im Polizeikessel zu starten. Hätte man die Braunen losmarschieren lassen, wäre der Zug für die Polizei kaum vor Angriffen zu schützen gewesen, so Glietsch.

Während die meisten noch mit der Analyse des Sonntags beschäftigt waren, blickte Udo Wolf, Innenexperte der PDS, nach vorn. Der 8. Mai habe gezeigt, zu was die Zivilgesellschaft fähig sei, wenn alle Beteiligten – Bürger, Polizei und Antifa – die Scheuklappen fallen lassen. „Das könnte eine vertrauensbildende Maßnahme gewesen sein“, bei anderen Anlässen ähnlich gut zusammenzuarbeiten. Etwa beim nächsten Aufmarsch von Rechten in Hohenschönhausen. Entspannter miteinander umgehen, die Angst voreinander überwinden, diesen Tipp gibt Wolf nicht nur dem normalen Mittelschichtbürger in Bezug auf die Autonomen, sondern auch den Autonomen in Bezug auf die Polizei und umgekehrt. Aber eine positive Erfahrung, vermutet Wolf, reiche ganz sicher nicht aus, um alte Feindbilder zu überwinden.

Offenbar hat der PDS-Innenexperte damit Recht. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) betonte gestern, der 8. Mai sei eine „besondere Situation“ gewesen. Keinesfalls dürfe man daraus schließen, dass fortan jeder Neonazi-Aufzug von der Polizei sofort untersagt wird, sobald sich Protest regt.

Auch ein Sprecher der Antifa sagte, der 8. Mai bleibe ein Sonderfall (siehe Interview). Dass die Polizei dieses Mal nicht ganz so hart gegen die Anhänger der Antifa vorgegangen sei, verdanke man dem öffentlichen Interesse und nicht einem Sinneswandel der Uniformierten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen