Die größte Kanone der Welt

ISLAMISMUS IM KINO Das türkische Historienspektakel „Fetih 1453“ erträumt den Triumph des Islams über den Westen. Im Multiplex-Kino in Berlin-Neukölln gibt’s dafür Beifall

Lange hat man keinen Film mehr gesehen, der Töten und Sterben so inbrünstig verherrlicht

VON MICHA BRUMLIK

Während sich die Welt über die iranische Bombe sorgt, feiert der türkische Film „Fetih 1453“ die osmanische Kanone. Der seit mehr als vier Wochen in Deutschland laufende, weltweit bisher teuerste und erfolgreichste türkische Film schildert in anstrengenden 160 Minuten die Eroberung der byzantinischen Hauptstadt durch Sultan Mehmet II. und seine Truppen im Mai des Jahres 1453. In Farbe, Breitwand und von einer unerträglich lauten Sauce neuromantischer Symphonik, wie sie für die Hollywoodfilme der 1950er Jahre typisch war, begleitet, feiert der Film von Faruk Aksoy Krieg, Martyrium und den Sieg aller Glaubensgewissheit über realpolitische Zweifel.

Heimliche, weibliche Hauptfigur des Films ist das Mädchen Era. Sie überlebte als kleines Kind ein Massaker von Kreuzrittern in ihrem muslimischen Dorf im Kosovo, wurde später von dem genialen christlichen Handwerksmeister Urban vom Sklavenmarkt wegadoptiert und liebevoll aufgezogen, um schließlich mit ihrem Ziehvater, dem Herrscher der Osmanen, die damals größte Kanone der Welt zu gießen. Es war diese Kanone, die die Mauern des bis dahin unbesiegten Byzanz sturmreif schoss. Era, die sich in einen muslimischen Helden verliebt, zeigt sich als in Männerkleider gehüllte, emanzipierte junge Frau, die Krieg gegen Byzanz führt, um Rache für ihre von den Kreuzrittern ermordeten Verwandten zu nehmen.

Der Film, der sich in großen Linien durchaus an den Ablauf der historischen Ereignisse hält, verkündet indes weniger einen neoosmanischen Anspruch à la Erdogan als einen ebenso gewalttätigen wie soften Islamismus: die erste Einstellung zeigt Medina zur Zeit Mohammeds im Jahr 627, als des Propheten Gefährten den Auftrag erhalten, dereinst Konstantinopel zu erobern; in der letzten Einstellung betritt der siegreiche Sultan die Hagia Sophia, um – klassische Pose aller Diktatoren – ein kleines, blondes, natürlich christliches Mädchen zu herzen und seinen künftigen Untertanen Toleranz zu verkünden. Ohnehin geht die Ikonografie dieses Films seltsame Wege: Die heldenhafte muslimische Hauptfigur, Eras Geliebter Hasan, stirbt, wie der heilige Sebastian von Pfeilen durchbohrt, minutenlang brechenden Auges mit der Janitscharenfahne in der Hand auf einem Turm der eroberten Stadt.

Lange hat man keinen Film mehr gesehen, der Töten und Sterben, einschließlich des militärisch-religiös motivierten Selbstmordes so inbrünstig verherrlicht, Geschichte so schamlos klittert und seinem Publikum eine so eindeutig reaktionäre Botschaft auf den Weg gibt. Der Film verdreht die Wahrheit, indem er den starren byzantinischen Hof als Ansammlung von Lüstlingen zeigt, die sich an leichtbekleideten Tänzerinnen ergötzen; er lügt, indem er in der vorletzten Einstellung vorgaukelt, dass Sultan Mehmet II. dem gefallenen byzantinischen Kaiser ein ehrenhaftes Begräbnis zubilligt, während doch in Wahrheit dessen Leiche der Kopf abgeschnitten, öffentlich zur Schau gestellt und später in einer Kiste befreundeten muslimischen Herrschern als Siegesbeweis zugestellt wurde. Und obwohl dieses Machwerk in den Kriegsszenen vor Blut nur so trieft, übergeht es vornehm, dass die siegreichen osmanischen Truppen drei Tage vor Einzug des Sultans die Stadt plünderten, brandschatzten sowie Kinder, Greise und Kranke ermordeten.

Hier zeigt sich eine neue, ideologische Qualität: Anders als der seines verklemmten Antisemitismus wegen umstrittene Film „Tal der Wölfe“ artikuliert „Fetih 1453“ keinen Widerstand gegen einen ausgreifenden Westen, sondern den erträumten Sieg über ihn. Nach einhundertsechzig Minuten an einem kalten Dienstagabend gab es in dem gut zu zwei Dritteln gefüllten Neuköllner Cineplex Beifall. Zuvor hatte ein Angestellter des Kinos erzählt, dass „Fetih 1453“, türkisch mit deutschen Untertiteln, über Wochen ein Kassenhit war.

Man mag darüber streiten, ob es die von Bundesinnenminister Friedrichs Forschungsgruppen ermittelten 20 Prozent muslimischer Integrationsverweigerer tatsächlich gibt – wenn ja, dann wäre „Fetih 1453“ ihr Film. Mag sein, dass die Freiwillige Selbstkontrolle dem Film eine Freigabe nicht verweigern konnte; dass er dennoch wochenlang undiskutiert lief, ohne Aussprache, Podiumsdiskussion und öffentliche Debatte, dass weder all die interreligiösen Dialoggruppen noch öffentliche Bildungseinrichtungen von ihm auch nur Notiz nahmen, ist der wahre Skandal.