wortwechsel: Mitgefühl verboten? Mitgefangen an der Grenze
Stellvertretend für die polnische NGO Grupa Granica standen „Die Fünf aus Hajnówka“ vor Gericht, wurden aber jetzt freigesprochen: keine persönlichen und finanziellen Vorteile
„Prozess gegen Flüchtlingshelfer: Hilfe als Straftat? Fünf Menschen stehen in Polen vor Gericht, weil sie Geflüchteten Suppe, Wasser und Schutz gaben. Die Staatsanwaltschaft fordert lange Haftstrafen“, taz vom 8. 9. 25
Kommentare: taz forum
Sie hätten Geflüchteten „rechtswidrig den Aufenthalt auf dem Territorium der Republik Polen“ erleichtert, indem sie sie „während ihres Aufenthalts im Wald mit Lebensmitteln und Kleidung versorgt, ihnen Unterkunft und Ruhe geboten und sie am 22. März 2022 ins Landesinnere transportiert hätten.“
Sollte man sie wohl lieber im Wald verrecken lassen?
Sind menschenrechtswidrige Pushbacks jetzt schon das „new normal“? Wie der Artikel auch aufzeigt, haben die polnischen Grenzschützer eben keine Asylanträge an einer EU-Außengrenze bearbeitet (wie das ja in der Theorie angeblich laufen soll), sondern unter bestmöglichem Ausschluss der Öffentlichkeit die Leute zurück in den winterlichen Wald getrieben. Wie der Artikel auch nahelegt, diente die Fahrt dazu, die Familie – und vor allem die Kleinkinder – vor einem dritten Pushback durch Grenzer und einem möglichen Tod zu bewahren.
Die Überschrift suggeriert, dass humane Ersthilfe in Polen als strafbar gilt und führt damit in die Irre. Das Gesetz zur Strafbarkeit bei Unterstützungshandlungen für illegale Einreisen unterscheidet sich im Kern nicht von § 96 Aufenthaltsgesetz in Deutschland. Verstöße gegen das Gesetz können mit bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden. Dazu zählen auch hierzulande Transportmöglichkeiten sowie alle weiteren Maßnahmen die dazu beitragen, den unerlaubten Aufenthalt zu ermöglichen oder zu verlängern. Erste-Hilfe-Maßnahmen wie die Versorgung mit Nahrung, Kleidung, Medikamenten fallen nicht darunter und sind in Polen wie auch in Deutschland nicht strafbar. Die Anklagepunkte in dem polnischen Prozess hat es auch in Deutschland schon in etlichen Prozessen gegeben, mit entsprechender Verurteilung. Kritik an der polnischen Justiz greift daher zu kurz. Es sind Missstände, die sich aus den Folgen der europäischen Asylpolitik ergeben und der polnischen Auslegung dieser Politik. Nur, Ähnliches trifft auch auf Deutschland und viele andere EU Staaten zu.
Sie haben versucht, Kinderleben zu retten und die Familie vor einem dritten illegalen Pushback zu bewahren.
In der Schule hatte ich Geschichtsunterricht. In einer dort mehrfach behandelten 12-jährigen „Epoche“ wurden Menschen sehr hart bestraft, weil sie Menschen in Not und Gefahr geholfen haben. Ehrlich gesagt, mir macht die aktuelle Entwicklung Angst, wenn es schon wieder so weit ist, dass Menschlichkeit als Straftat geahndet wird.
„Danke!“ an die polnischen Aktivist:innen an der Ostgrenze zu Belarus. „Danke!“ auch an die taz für diesen Artikel.
Laut Artikel geht es vor Gericht vor allem um den Transport der Familie. Die fünf Angeklagten haben sie ja nicht nur einfach aus dem Wald ins Warme evakuiert, also ins nächstgelegene Haus, sondern wollten sie in die nächste Stadt fahren. 13 Kilometer. Der Osten Polens ist dünn besiedelt, aber auch dort kommt alle paar Kilometer ein Dorf. 13 Kilometer heißt also, es sollte über mehrere Orte gehen – da sehe ich schon ein Handeln weit über akute (Überlebens-)Hilfe hinaus. Der Verdacht liegt da schon sehr nahe, dass die „Helfer“ die Familie mit der Fahrt nicht nur aus der lebensbedrohlichen Kälte des Waldes retten wollten, sondern sie aktiv bei ihrer illegalen Weiterreise unterstützen wollten. Und das ist dann weit mehr als nur „menschlicher Anstand“, wie es eine Angeklagte umschreibt, sondern aktive Schleuserei.
Ja, es ist wirklich verwerflich, dass sich Menschen entschlossen haben, Menschen in Lebensgefahr zu helfen. Achtung: Sarkasmus! Wenn Menschlichkeit und das Retten von Menschenleben zur Straftat wird, läuft etwas verdammt schief.
Es ging ja nur nebensächlich um Essen und Wasser. Hauptsächlich wurden sie angeklagt, weil sie die Migranten transportiert, untergebracht und instruiert haben.
Das Verstecken der Menschen im Auto kann man schon als eine Schuldbekundung deuten. Moralisch wäre es aber nicht vertretbar, jemanden dafür zu verurteilen, eine Familie vor dem Erfrieren zu bewahren.
Der Inhalt des Artikels hat mich so stark beeindruckt, dass ich die dort vorgestellten fünf Menschen auf einer polnischen Anklagebank wenigstens mit Geld unterstützen möchte. Für die Aufklärung durch diesem Artikel danke ich.
Liebe tazler, seid bitte vorsichtig mit der Wortwahl: Die fünf Angeklagten sind keine „Fluchthelfer:innen“ im Sinne der Rechtsprechung. Diese fünf „helfen Flüchtenden“. Und dies ist moralisch-ethisch nicht nur legitim, sondern auch ehrenwert. Im Gegensatz zu ihrer Regierung und vielen anderen Regierungen stehen sie in der Tradition einer kritischen und moralphilosophischen Zivilgesellschaft. Ihnen gebühren Achtung und Friedenspreise. Den europäischen Regierungen gebührt dagegen Verachtung für das unwürdige Geschachere um die Verteilung und das Abwimmeln von Geflüchteten. Die Begriffe Recht und Gerechtigkeit entkoppeln sich scheinbar immer weiter. Uwe Fischer, Berlin
In Warschau hing früher an jeder Ecke ein Bild des Papstes. Jetzt steckt der Akt unmittelbarer Nächstenliebe in einem Geflecht aus hybrider Kriegsführung und Schutzbedürfnissen. Natürlich betreiben Russland und Belorussland ein politisches Spiel mit Geflüchteten, aber würde die Regierung auch Mönche oder Nonnen so anklagen vor Gericht, wenn sie im Wald barmherzig Hilfe leisten würden?
Der Film: „Green Border“ von Agnieszka Holland (2023) macht das Helfen an der Grenze Polen/Belarus sehr anschaulich zum Thema – in einem multiperspektivisch angelegten Drama. Sophia van Dijk
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