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Archiv-Artikel

Rechtsruck im hohen Norden

SCHWEDEN Das Land der staatlichen Wohlfahrt sitzt nun dem EU-Rat vor. Auch hier profitieren die Konservativen von der Finanzkrise. Warum nur?

Petter Larsson

lebt in Malmö und ist politischer Redakteur der Wochenzeitung Efter Arbetet. Als Freier arbeitet er auch für die Tageszeitung Aftonbladet. Im Jahr 2001 erschien von ihm das globalisierungskritische Buch „Protests- formen“.

Die ganze Weltwirtschaft, inklusive Schweden und Europa, wird von krasser Gier und rücksichtslosem Leichtsinn beherrscht.“

Nein, dieser Satz stammt nicht von Expremier Göran Persson oder einem anderen schwedischen Sozialdemokraten, der die Ursachen der Finanzkrise erklären möchte. Stattdessen spricht hier der neue Star der schwedischen Politik, der konservative Finanzminister Anders Borg. Nun da Schweden die EU-Ratspräsidentschaft für ein halbes Jahr übernommen hat, ist er der Politiker, den man im Auge behalten sollte: ungeheuer populär und mindestens so einflussreich wie Premier Fredrik Reinfeldt.

Dass ausgerechnet Borg wie ein Sozialdemokrat klingt, zeigt deutlich, wie dramatisch sich die konservative Partei der „Moderaten“ in den vergangenen Jahren gewandelt hat. Ihre linke Rhetorik erklärt auch, warum die bürgerlichen Parteien vor bald drei Jahren die Macht in Schweden erobern konnten – seit 1936 war es erst das vierte Mal, dass sie gegen die Sozialdemokraten gewonnen haben.

Die hippen Konservativen

Der 41-jährige Anders Borg steht für eine junge Generation von Konservativen, die in den 60er-Jahren geboren und in den 80er-Jahren politisiert wurden. Damals war es plötzlich hip unter den Jugendlichen, rechts zu sein. Denn als Rechter verteidigte man nicht mehr eine überkommene Oberschicht von Gutsherren und Direktoren, sondern rebellierte gegen die neuen Autoritäten: gegen die Bürokratie und die verkrustete Arbeiterbewegung, die mit Bürgerversicherung, Alkoholbeschränkungen und übermächtigen Gewerkschaften Kreativität und Freiheit zu unterdrücken schien. Ein 21-jähriger Anders Borg erklärte in einem Fernsehinterview 1989, dass er als Premier „einfach nichts tun würde, denn das Volk sollte genau das machen, was es selbst will“. Der heutige Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt schrieb 1993 von einem „schlafenden Volk“, das „Opfer der sozialdemokratischen Hirnwäsche“ geworden sei.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der intensiven Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte waren die Vorstellungen dieser jungen Rechten weltweit auf dem Vormarsch. Umso irritierender war es für sie, dass sie ausgerechnet in ihrer Heimat Schweden keine einzige Wahl gewinnen konnten. Beobachter machten als ein Problem aus, dass sich die Konservativen vor allem darauf fokussierten, Steuersenkungen zu versprechen und den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat zu attackieren. Dieses Programm wirkte wie ein Fremdkörper in einem Land, wo 75 Prozent der Arbeitnehmer in Gewerkschaften organisiert sind und die Bewohner bereitwillig hohe Steuern zahlen, wenn sie dafür im Gegenzug mit guten Schulen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen versorgt werden.

In der Katastrophenwahl von 2002 verloren die Moderaten denn auch fast 8 Prozentpunkte. Nun drängten die jungen Freiheitshelden rund um Anders Borg nach vorn, die eine rhetorische Kehrtwende einleiteten. Die verbalen Angriffe auf die Gewerkschaften und den öffentlichen Sektor hörten auf; stattdessen nannten sich die Konservativen nun „die neue Arbeiterpartei“.

Während man sich also in Wirtschaftsfragen der Mitte näherte, verfolgte man auf anderen Politikfeldern eine umso härtere konservative Linie, um für die Stammwähler noch erkennbar zu bleiben – etwa bei der Schul- oder Innenpolitik. Vor allem aber hetzte man die Mittelschicht und die Facharbeiter gegen eine nur vage definierte Unterschicht auf, von der man behauptete, sie sei „nicht integriert“. Dazu gehörten dann Arbeitsunfähige, Arbeitslose, Frühverrentete oder Sozialhilfeempfänger. Die angeblichen Sozialschmarotzer erwiesen sich als ein sehr wirkungsvolles Feindbild – die Moderaten erzielten 2006 ihr bestes Wahlergebnis seit 1928.

Hinter dieser neuen Fassade verfolgten die Konservativen dann die alte rechte Politik zugunsten der Oberschichten: Sie schenkte vor allem ihnen gigantische Steuersenkungen. Gleichzeitig wurde es deutlich teurer, Mitglied einer Gewerkschaft und der Arbeitslosenversicherung zu werden. Von rund neun Millionen Schweden haben inzwischen eine halbe Million die Arbeitslosenversicherung verlassen. Die Ungleichheit bei Vermögen und Einkommen klaffte so weit auseinander wie noch nie seit 1975. Die Quittung zeigte sich in den Meinungsumfragen: Die Konservativen verloren dort noch schneller, als sie zuvor zugelegt hatten.

Finanzkrise rettet die Rechten

Aber dann kam die Rettung: die Finanzkrise. Die Konservativen vollzogen erneut eine rhetorische Wendung nach links. Anders Borg – früher selbst Banker – begann den Banken ihre „maßlose Gier“ vorzuwerfen und drohte, dass Rettungsmaßnahmen nicht umsonst zu haben seien: Im Gegenzug würde der Staat zum Anteilseigner der Pleitebanken. Fredrik Reinfeldt wiederum weigerte sich, den Autokonzern Saab mit Staatsgeldern zu retten. Denn davon würden nur die US-Anteilseigner profitieren. Stattdessen wird das Geld nun eingesetzt, um den entlassenen Saab-Mitarbeitern Umschulungen und neue Jobs zu finanzieren – ein typisch sozialdemokratischer Ansatz. Und Arbeitsminister Sven Otto Littorin verteidigt inzwischen die Tarifverträge mit demselben Eifer wie ein Gewerkschaftsfunktionär.

Erfolgsrezept: die Gier der Reichen anprangern, die Steuern senken und die Mittelschicht gegen „Sozialschmarotzer“ aufhetzen

An der realen Lage der Arbeitslosen hat sich hingegen wenig geändert: Weil viele Schweden nicht mehr in der Arbeitslosenversicherung sind, stehen bei den Sozialämtern nun Zehntausende Schlange.

Doch ihre sozialdemokratische Rhetorik hat die bürgerliche Regierung wieder so populär gemacht, dass sie die Wahl 2010 erneut gewinnen könnte – zumal die EU-Ratspräsidentschaft Fredrik Reinfeldt jetzt die Möglichkeit eröffnet, sich als Staatsmann von Welt zu inszenieren. Wenn er Hände von Merkel, Sarkozy oder Obama schüttelt, dann imponiert das den schwedischen Journalisten – und in Verlängerung auch den Wählern. Ja, sie wirken beinahe normal, Borg und Reinfeldt, regierungstauglich. Das galt in Schweden bisher nur für die Sozialdemokraten. PETTER LARSSON

Übersetzung aus dem Schwedischen: Ulrike Herrmann