: „Wir verkaufen Waren aus Kinderarbeit“
Der italienische Großhändler Fabio Cattaneo importiert Produkte, die von Kindern und Jugendlichen hergestellt wurden – und wirbt offensiv damit. Entscheidend sei, unter welchen Bedingungen und zu welchen Löhnen die Arbeit stattfinde
INTERVIEW ANNETTE JENSEN
taz: Umfragen zeigen immer wieder, dass nichts den Kunden fairer Produkte so wichtig ist wie der Verzicht auf Kinderarbeit. Sie leiten das einzige faire Handelshaus in Europa, das Produkte von Kindern vertreibt und auch noch offensiv damit wirbt. Fairer Handel und schuftende Kinder – wie soll das zusammenpassen?
Fabio Cattaneo: Viele Kinder und Jugendliche müssen arbeiten, weil sie und ihre Familien auf den Lohn angewiesen sind. Wenn wir ihnen ihre Produkte zu fairen Preisen abkaufen, unterstützen wir eine wirksame Alternative zur Straßenarbeit und zur Ausbeutung.
Wann haben Sie angefangen, von Kindern gefertigte Produkte ins Sortiment aufzunehmen?
Bei einer Reise nach Peru im Jahr 1995 haben wir in Lima mehr oder weniger zufällig Vertreter der Manthoc-Bewegung kennen gelernt. Dabei handelt es sich um eine Bewegung arbeitender Kinder und Jugendlicher, die in den Siebzigerjahren gegründet wurde. Wir waren sehr fasziniert davon, wie sie sich organisiert haben. Einige von ihnen haben Grußpostkarten hergestellt. Wir haben mit ihnen verabredet, dass wir versuchen wollten, die Karten bei uns in Italien zu verkaufen.
Und wie haben Ihre Kunden auf dieses ungewöhnliche Angebot reagiert?
Unsere Kunden sind 160 bis 180 Weltläden in Italien. Zunächst wollte niemand die Karten ins Sortiment aufnehmen, und wir galten in der Szene drei oder vier Monate lang als die Kooperative, die Kinder ausbeutete. Manche der Läden haben damals monatelang überhaupt nichts mehr bei uns bestellt.
Heute aber gibt es in Italien viele Weltläden, die von Kindern hergestellte Produkte verkaufen. Wie ist es dann dazu gekommen?
Ein entscheidender Schritt war der Auftritt von Kindern aus der peruanischen Bewegung 1999 bei einer Versammlung der Ifat, der Importeure und Hersteller des fairen Handels. Wir hatten die Kinder damals zur Fair-Handels-Messe nach Mailand eingeladen, und sie nutzten die Gelegenheit, vor Herstellern aus der ganzen Welt das Wort zu ergreifen.
Sie baten, als aktive soziale Subjekte innerhalb des fairen Handels anerkannt zu werden. Ich erinnere mich an die Verlegenheit der Zuhörer. Ihnen dämmerte, dass solche Kinder nicht mehr nur die Objekte einer Diskussion über das Thema Kinderarbeit sein können. Die Hersteller aus dem Süden haben dann versucht, das Thema einfach zu ignorieren.
Was glauben Sie, warum? Fürchteten sie die Konkurrenz der Kinderarbeiter?
Sie hatten Angst, dass es Probleme für ihre eigenen Geschäfte gibt, wenn sie direkt oder indirekt Kinderarbeit anerkennen. Ihre Haltung resultiert aus den Regelungen des fairen Handels. Der verbietet Kinderarbeit nicht ausdrücklich, ist aber auf jeden Fall nicht dafür. Das ist so eine Grauzone, über die man am liebsten nicht spricht.
In Deutschland erscheint es sehr schwierig, offensiv damit zu werben, dass bestimmte Produkte von Kinderarbeitern hergestellt wurden. Sind die Italiener da möglicherweise unempfindlicher?
Wir haben jahrelang gearbeitet und im Jahr 2000 „ItaliaNats“ mit gegründet, eine Organisation zur Unterstützung von arbeitenden Kindern. Gemeinsam haben wir es geschafft, die öffentliche Meinung in Italien zu verändern. Heute verkaufen viele italienische Weltläden Produkte der Kinder und informieren ihre Kunden. Ich bin der Meinung, dass es auch in Deutschland mehr Transparenz geben müsste. Die Kinder in vielen Ländern haben gar keine Wahl, ob sie arbeiten wollen oder nicht. Die Alternative, sich nur auf die Schule zu konzentrieren, gibt es einfach nicht.
Was stellen die Kinder und Jugendlichen her, deren Produkte Sie verkaufen?
Equo Mercato importiert Postkarten, bedruckte T-Shirts, Trommeln, Kinderspiele aus Holz, Öllampen und Ketten. Die Produkte kommen von Kindern und Jugendlichen aus Benin, Elfenbeinküste, Peru, Kolumbien und Indien. Bisher haben wir Waren von Kindern im Gesamtwert von 48.000 Euro importiert und weiterverkauft.
Und unter welchen Bedingungen arbeiten die Kinder und Jugendlichen?
Die Kinder arbeiten gemeinsam in Räumen, wo sie geschützt sind. Dort gibt es auch immer Erwachsene als Ansprechpartner. Die Kinder arbeiten nur einige Stunden am Tag und haben genug Zeit, um zur Schule zu gehen. Und sie verdienen genug Geld, um die Bücher, Hefte und Schuluniformen zu kaufen. Unsere Importe tragen außerdem zur Selbstfinanzierung der Kinderbewegungen bei – und bei denen ist Bildung und Ausbildung absolut zentral.