: Grüne für mehr Wertsteuer
Wirtschaftsweise, viele Grüne und ein Ministerpräsident wollen die Mehrwertsteuer erhöhen – aber nicht um Haushaltslöcher zu stopfen. Und: Man soll darüber schweigen
BERLIN taz ■ Niemand hat die Absicht, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Sagen Finanzpolitiker aller Parteien. „Die Erhöhung kommt spätestens 2007.“ Sagt Winfried Fuest, Mitglied der Geschäftsführung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Dass bislang sowohl Regierung als auch Opposition solche Pläne weit von sich weisen, ist für Fuest normal: „Die üblichen Politspielchen.“
Allerdings gibt es diesmal weit weniger Dementis als bei Debatten über Mehrwertsteuern sonst üblich. „Konsens ist nur, dass damit keine Haushaltslöcher gestopft werden dürfen“, bewertet etwa Klaus Müller die Haltung der Grünen zu der Steuer, die den Staat an jedem Umsatz beteiligt, der im Land erzielt wird. Der frühere Umweltminister in Kiel gehört zu den finanzpolitischen Spielern der Grünen.
Eine Steuererhöhung bei gleichzeitiger Entlastung der sozialen Sicherungssysteme halten laut Müller rund 40 Prozent der Grünen für vernünftig. Unter anderem auch die haushaltspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Anja Hajduk. Die Fraktionsspitze hält dagegen, Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck lehnt eine Erhöhung ebenso ab wie die finanzpolitische Sprecherin Christine Scheel.
Ausgelöst hatte die Debatte Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD), weil er angesichts milliardenschwerer Steuerausfälle eine Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht ausgeschlossen hatte. Erst nach Kritik aus Opposition und eigener Partei wollte er nichts mehr davon wissen, die Steuer um 1 Prozentpunkt anzuheben und rund 8 Milliarden Euro zusätzlich einzunehmen.
Besonders ungelegen kommt die Steuerdiskussion für Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen. Zwar könnte auch der Landeshaushalt Mehreinnahmen gebrauchen, als Bürgerschröpfer will sich zwei Wochen vor der Wahl jedoch niemand darstellen lassen. NRW-Finanzminister Jochen Dieckmann (SPD) erklärte deshalb prompt: Eine Steuererhöhungsdebatte sei unsinnig, Eichel sei missverstanden worden. „Die Angelegenheit ist damit für mich vom Tisch“, so Dieckmann.
Ganz anders denkt mittlerweile die Wissenschaft. Eine Mehrwertsteuererhöhung von sogar 2 Prozentpunkten hatten die Wirtschaftsforschungsinstitute IW, DIW und das Hamburger Weltwirtschaftsarchiv ins Gespräch gebracht. Sie wollen so Renten- und Arbeitslosenversicherung entlasten. „Das wirkt fast wie ein kleines Konjunkturprogramm“, sagt IW-Steuerexperte Fuest. Schließlich würden so Privathaushalte bei den Sozialabgaben entlastet und durch die Mehrwertsteuer kaum belastet. Denn die größten Ausgabeposten wie Miete und Nahrung sind von dieser Steuer ganz oder teilweise ausgenommen.
Auch innerhalb der CDU bröckelt die Front der Erhöhungsgegner. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer forderte laut Zeitungsberichten im CDU-Präsidium: Die Union solle einräumen, dass auch sie im Falle eines Wahlsiegs bei der Bundestagswahl 2006 die Mehrwertsteuer erhöhen müsse.
Böhmers CDU-Ministerpräsidenten-Kollegen dementieren jedoch bislang. Gemäß der Regel: Über Steuererhöhungen spricht man nicht. Man macht sie.
KLAUS JANSEN