Syrien-Expertin zu Massakern an Drusen: „Israels Schutzargumentation ist nicht glaubwürdig“
Die Angriffe auf Damaskus destabilisieren Syrien, sagt die Nahost-Expertin Bente Scheller. Sie bezweifelt, dass Israel sich um die Drusen sorgt.

taz: Frau Scheller, Israel hat in den vergangenen Tagen Angriffe in Syrien geflogen, unter anderem auf das Verteidigungsministerium. Weshalb?
Bente Scheller: Das ist nicht die erste Intervention Israels in Syrien. Über die Jahre des Konfliktes hat es sehr viele Bombardierungen in Syrien gegeben, aber insbesondere seit dem Fall Assads am 8. Dezember. Und Israel hat hier immer zwei Interessen klargemacht: Einerseits zu verhindern, dass von Syrien für Israel selbst eine Bedrohung ausgeht. Und in dieser Situation haben Sie auch gesagt, sie würden hier zur Verteidigung der Drusen eingreifen.
ist Referatsleiterin Nahost und Nordafrika bei der Böll-Stiftung. Bis 2019 leitete sie, nach Stationen in Syrien und Afghanistan, das Stiftungsbüro in Beirut, Libanon.
taz: Truppen der neuen syrischen Regierung sollen Massaker an den Drusen in Suweida begangen haben. Wenn Israel nun sagt, es wolle eine religiöse Minderheit schützen, klingt das doch erst mal gut.
Scheller: Das ist sehr zwiespältig. Es hat über die letzten 15 Jahre Massaker in Syrien gegeben, die weit über das hinausgehen, was wir jetzt sehen. Und da ist auch keine ausländische Macht gekommen und hat irgendjemanden geschützt. Es gibt erhebliche Zweifel an dieser Schutzargumentation. 2017 ist der „Islamische Staat“ in Suweida eingefallen und hat dort Massaker an Drusen begangen. Damals hat es keine Versuche gegeben, Aufmerksamkeit darauf zu lenken und den internationalen Schutz von Drusen einzufordern. Deswegen finde ich es jetzt auch nicht so richtig glaubwürdig.
taz: Wie sind die israelischen Angriffe in Damaskus zu bewerten?
Scheller: Zunächst sollten wir darauf blicken, wie unsere Maßstäbe vielleicht schon verrutscht sind. Da ist ja nicht irgendwas bombardiert worden, sondern das Verteidigungsministerium mitten im Herzen der Hauptstadt, an einem absolut belebten Ort. Ein Flügel des Gebäudes ist sogar eingestürzt. Wenn wir uns vorstellen, dass irgendeine ausländische Macht das in Berlin täte, wäre das schon wirklich eine ganz andere Qualität. Ich verstehe nicht, warum es das nicht zu einem wirklichen Aufschrei führt. Nicht zuletzt, weil ja im Prinzip Deutschland, die EU, alle ein Interesse daran hätten, dass Syrien stabil wird.
taz: Der syrische Präsident Ahmed al-Scharaa behauptet, dass Israel darauf abzielen würde, Syrien zu teilen. Warum sollte Israel ein Interesse an einem destabilisierten Syrien haben?
Scheller: Minister der israelischen Regierung haben explizit gesagt: Wir werden nicht ruhen, bevor Syrien nicht auseinandergebrochen ist. Wir sollten diese Äußerungen ernst nehmen, denn es ist wirklich heikel, wenn der syrische Staat von ausländischen Kräften unterminiert wird. Und das ist seit dem 8. Dezember sehr klar erkennbar. Das Vorrücken Israels auf den Golanhöhen hat keinerlei sicherheitspolitische Vorteile. Da gab es immer eine Pufferzone, in der weder syrisches noch israelisches Militär sitzen durfte. Das war die von den UN überwachte Zone und das hat sehr gut funktioniert. Wenige Tage später kam dann ja auch sofort die Ankündigung aus Israel, man werde die Siedlungsaktivitäten im Golan erhöhen. Dann hat man die Bevölkerung, die dem eigenen Militär hinterher zieht.
taz: Die Besatzung des Berg Hermon im Golan kann Israel wohl Vorteile bei der Radarüberwachung bringen. Doch der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich sagt, die Grenzen Syriens sollten bis Damaskus reichen. Sind diese Expansionsgelüste im Bereich des Möglichen?
Scheller: Ich weiß nicht, ob das realistisch ist. Aber wenn wir die Äußerungen israelischer Politiker nicht ernst nehmen, dann werden wir möglicherweise überraschend mit Fakten konfrontiert sein, die schwer rückgängig zu machen sind. Die israelischen Truppen stehen übrigens schon sehr nah an der Hauptstadt, das sind vielleicht 40 Kilometer Luftlinie. Das würde auch in anderen Staaten große Sorge hervorrufen. Einer der israelischen Minister sagte kürzlich, Al-Scharaa müsse „beseitigt“ werden. Und da finde ich noch sehr verhalten, was wir aus Syrien hören. Die Regierung hat nicht gedroht und nicht zurückgeschossen. Ganz im Gegenteil. Die jetzige Regierung hat sich an die UN gewandt, um diese Missstände anzuprangern.
taz: Die USA haben offenbar bei den Waffenstillstandsabkommen zwischen den Drusen und der syrischen Führung vermittelt. Auch äußert sich Trump sehr anerkennend über al-Scharaa. Was für eine Agenda verfolgt er?
Scheller: Die Rolle der USA finde ich immer schwierig zu lesen. Unter Trump haben wir viele unerwartete Dinge gesehen. Bei Syrien sind es unerwartet positive Äußerungen, insbesondere die Aufhebung der Sanktionen, die essenziell dafür sind, dass Syrien wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt. Das alles hat Trump angestoßen. Er hofft wohl, dass sich Syrien den Abraham Accords anschließt – diesem Konstrukt regionaler Sicherheit, das Trump mit den Golfstaaten begonnen hat, was eine Normalisierung mit Israel bedeuten würde. Ich glaube auch, dass er Krieg als einen Störfaktor für die für ihn sehr wichtigen wirtschaftlichen Interessen sieht.
taz: Wie Israel im Süden besetzt die Türkei im Norden syrisches Gebiet, aus dem es die Kurden vertrieben hat. Im Gegensatz zu Israel will die Türkei aber eher eine stabile Regierung in Damaskus.
Scheller: Ich denke, dass gerade diese Ähnlichkeit des Vorgehens durchaus für Syrien insgesamt problematisch ist. Alles, was die syrische Souveränität beeinträchtigt und zu ausländischer militärischer Einmischung in Syrien zählt, destabilisiert den Staat tendenziell. Gleichzeitig denke ich, dass die Türkei wirklich ein Interesse daran hat, dass Syrien halbwegs stabil bleibt. Die türkische Rhetorik war auch jahrelang: Flüchtlinge aus Syrien müssen zurückgehen. Auch wirtschaftlich ist ein stabiles Syrien für die Türkei deutlich interessanter als ein destabilisiertes Gefüge.
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