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Archiv-Artikel

Fragezeichen einer strahlenden Ankündigung

Ukrainische Atombehörde kündigte an, bis 2030 elf neue Reaktorblöcke bauen zu wollen. Experten raten zu Skepsis

LWIW taz ■ Bereits in sechs Jahren werden die ersten ukrainischen Reaktoren ausgedient haben. Für die Anfang der 80er-Jahren gebaute sowjetische Blockreihe WWER-400 im AKW Riwne läuft nach 30 Jahren die Betriebszeit aus. Eine Modernisierung ist extrem aufwändig. Deshalb hat die ukrainische Atombehörde jetzt angekündigt, parallel zum Abschalten neue Reaktoren bauen zu wollen.

Eine Ankündigung mit vielen Fragezeichen: Unklar ist, wo die neuen Blöcke gebaut werden sollen, welche Technik – westliche oder russische – zum Einsatz kommen soll, wie die Blöcke finanziert werden sollen. Und wann sie gebaut werden können. Klar ist immerhin: Die Ukraine will energiepolitisch auf Dauer mehr Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen erlangen. Von drei wichtigsten Energiequellen – Gas, Kohle und Kernkraft – bevorzugt Kiew heute die Letztere. Bereits heute liegt der Anteil der Kernenergie an der Gesamtproduktion bei knapp 50 Prozent, von der anderen Hälfte entfallen rund zwei Drittel auf Kohlekraftwerke. Mit dem Ausbau der Atomkraft würde die Abhängigkeit von russischen und turkmenischen Gaslieferungen verringert, was ein strategisches Ziel Kiews ist. Die Ukraine selbst fördert nur 20 Prozent ihres Gasbedarf.

Viele ukrainische Energieexperten misstrauen jedoch der Ankündigung der Atomlobby. Bisher wurden zwar keine Zahlen über die möglichen Kosten des angekündigten Atomprogramms veröffentlicht, und Details wurden auch nicht bekannt. Ohne internationale Kredite und Euroratom-Gelder werden die angekündigten Blöcke aber nicht gebaut werden können. Dazu kommen zusätzlich Kosten für den Ausbau des Netzes und den Bau eines Endlager.

Außerdem will die Ukraine selbst Brennstäbe produzieren. Das Land verfügt über reichlich Uranvorräte, trotzdem werden derzeit die Brennstäbe der 15 ukrainische Reaktorblöcke aus Russland importiert. Auch von dieser Abhängigkeit will sich Kiew langfristig lösen, das kostet jedoch einige Milliarden Euro.

Die Ukraine will offenbar verstärkt auf Energieexport setzen – allein 2005 wird Energoatom – Betreiber der 15 ukrainischen AKWs – allein nach Russland rund 6 Milliarden Kilowattstunden billigen Strom liefern. Abnehmer für ukrainischen Saft sind auch osteuropäische Länder und Moldawien.

Einige Kritiker der neuen Atompläne argumentieren, dass es wichtiger wäre, die im Donezgebiet existierenden Kohlekraftwerke zu sanieren und so ihre Effektivität zu erhöhen. Denn schon heute könnte das Land wegen Überkapazitäten alte AKWs problemlos abschalten: Der Leistung von installierten 52 Millionen Kilowatt steht ein Verbrauch von 28 Millionen gegenüber. Doch Kiew tut sich mit der Kohle schwer: Zwar soll die Produktion erhöht werden, ein schlüssiges Restrukturierungskonzept für die Branche aber fehlt. Zuletzt flossen rund 600 Millionen Euro Subventionen jährlich in die Kohleförderung, die meisten der im Donezkbecken liegenden Gruben gelten als kaum sanierungsfähig.

Tatsächlich hat das angekündigte Programm auch einen technischen Hintergrund: Bislang lässt sich die Netzsicherheit der Ukraine nur durch Wasserkraftwerke steuern. Die Leistung der russischen Atomreaktoren sind im Unterschied zu den westlichen Modellen kaum regelbar. Deswegen raten die ukrainischen Experten seit Jahren, Wasserkraftwerke, zum Beispiel in den Karpaten, zu bauen. Doch auch der Ausbau des Leitungsnetzes muss vorangetrieben werden, sonst hat das Atomprogramm keinen Sinn. Wie die Inbetriebnahme von zwei neuen Reaktorblöcken in Riwne und Chmelnyzkyj 2004 zeigt: Die Ersatzblöcke für Tschernobyl führten nicht zu mehr Strom. Es fehlt nämlich an Übertragungskapazitäten. JURI DURKOT