: Der Garten als kollektive Widerstandspraxis
Die Ausstellung „Welto and the Sacred Bush“ in der Spore Initiative stellt karibische Gärten als Alternative zur Monokulturlandwirtschaft, aber auch zur Separierungspraxis hiesiger Kleingartenanlagen vor
Von Tom Mustroph
Aufmerksamkeit wird groß geschrieben im Haus der Spore Initiative in Berlin-Neukölln. Das manifestiert sich schon in den großen, von hohen Fenstern eingefassten Räumlichkeiten des vor zwei Jahren erst fertiggestellten Hauses. Man schaut von innen auf den turbulenten Verkehr der Hermannstraße, fühlt sich zugleich umhegt von der nach Nachhaltigkeitskriterien errichteten Gebäudehülle – viel Holz sowie Steine aus Abbruchhäusern – und konzentriert sich auf das, was nach innen geholt wurde.
Im Falle von der neuen Gruppenausstellung „Welto and the Sacred Bush“ handelt es sich vor allem um Objekte und Organismen aus der karibischen Inselwelt. Annalee Davis, Künstlerin aus Barbados, hat etwa eine Fülle von Blättern aus Martinique nach Berlin gebracht und sie wie eine geometrische Explosion an der Wand angeordnet. „Es ist eine Art Mandala. Wenn du Stress hast, kannst du einfach hierher kommen, dich hinsetzen und auf die Blätter schauen. Es wird dich beruhigen. Denn jedes einzelne Blatt ist so individuell, hat seine ganz eigene Form. Und ja, du kannst das als eine Explosion ansehen, vielleicht aber auch als eine Darstellung von Frieden oder als Zeichen für die Durchdringung von allem in der Welt, die uns umgibt“, meint Davis. Die meisten Blätter hat sie im Garten der Initiative Permactivie im Norden von Martinique gesammelt. In Vorbereitung der Berliner Ausstellung hielt sie sich im Rahmen einer Residenz dort auf.
Thema ist der karibische Garten. Der gehe über das Anlegen von Beeten und ästhetisch reizvollen Pflanzeninseln weit hinaus, betont Davis gegenüber der taz: „Es ist eine Praxis, die sich aus der Geschichte der Sklaverei und des Widerstands gegen die Sklaverei speist.“
Ursprünglich handelte es sich um kleine Flächen, die versklavte Menschen nutzten, um Obst und Gemüse für den eigenen Gebrauch anzubauen, aber auch Heilkräuter und Pflanzen, denen spirituelle Wirkkräfte zugeschrieben wurden. „In ihrer Vielfalt stellten sie auch eine Alternative zu den Monokulturen der Plantagen dar, die sich auf cash crops wie Zuckerrohr oder Bananen beschränkten“, sagt Davis. Weil sich Menschen in den Gärten gemeinsam um die Pflanzen kümmerten, sich aber auch über ihre Alltagsprobleme austauschten, wurden sie zunehmend zu Orten, an denen der Wille zu kollektivem Widerstand wuchs.
Diese Praxis greift die Initiative Permactivie ganz bewusst auf. „Es ist eine Mischung aus Permakultur und Aktivismus. Wir bekommen organische Abfälle aus den umliegenden Ortschaften und machen Kompost daraus. Den benutzen wir in unserem Garten“, sagt Marcel Jean-Baptiste, Künstler und Koordinator von Permactivie. Auf die Frage, welche Pflanzen dort angebaut werden, muss er schmunzeln. „Wir werden oft gefragt, was wir dort anbauen. Für mich geht es aber mehr um die Verbindung mit der Erde, was dort wächst, welche Arten von Verbindung hergestellt werden“, sagt er der taz.

Auf die gemeinschaftlichen Praktiken zwischen Menschen, Pflanzen und Boden gehen zwei Videoinstallationen der französischen Filmemacherin Florence Lazar ein. In „125 Hectares“ dokumentiert sie eine Initiative von Kleinbäuer*innen in Martinique, die seit 1983 125 Hektar Land besetzt haben und dort mit diversifizierter Fruchtfolge eine Alternative zu den üblichen Monokulturen schaffen. Sie sind allerdings auch von steigenden Bodenpreisen sowie der Vergiftung des Bodens durch das Schädlingsbekämpfungsmittel Chlordecon bedroht. Die dramatischen Folgen der Vergiftung durch Chlordecon arbeitet Lazar in „Tu Crois Que La Terre Est Chose Morte“ in Gesprächen mit Kräuterkundigen und Buschmedizinexperten auf.
Bis heute spürbare Folgen der Kolonisierung der Karibik werden im Kontext der Ausstellung auch auf andere Weise deutlich. Die in Barbados ansässige Davis etwa kam erst durch das Berliner Projekt in Kontakt mit Permactivie. Und weil die Verkehrsanbindungen zwischen den Inseln extrem schlecht sind, brauchte sie für den Weg von Barbados nach Martinique länger als mancher Direktflug von den Inseln nach Europa dauert.
„Welto and the Sacred Bush“: Spore Initiative, bis 29. März 2026
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