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Jahresbericht der Meldestelle„Antiziganismus ist in Deutschland Alltag“

Die Meldestelle für Antiziganismus hat einen Höchstwert Sinti und Roma-feindlicher Vorfälle registriert. Der Zentralrat vermisst einen Bewusstseinswechsel.

CDU-Politiker Michael Brand ist neuer Antiziganismusbeauftragter, Berlin, am 7.5.2025 Foto: Christoph Soeder/dpa

Berlin taz | Ein Junge wird an eine Bank fixiert, geschlagen und dabei gefilmt. Eine Frau wird im Hausflur rassistisch beleidigt. In einer Großstadt werden Stolpersteine entfernt, die an Opfer des Holocaust erinnern. Was diese Fälle eint: Die Betroffenen sind Sinti und Roma. Es sind drei von insgesamt 1.678 antiziganistischen Vorfällen, die die Melde- und Informationsstelle Mia für 2024 dokumentiert hat.

„Antiziganismus ist in Deutschland Alltag“, sagte Geschäftsführer Guillermo Ruiz bei der Vorstellung des dritten Mia-Jahresberichts am Montag in Berlin. Im Vergleich zum Vorjahr verzeichnete Mia einen Anstieg von 36 Prozent, damals wurden 1.233 Vorfälle registriert.

Dies führt Mia nur zum Teil auf die steigende Bekanntheit der 2022 eingerichteten Stelle zurück. Es gebe immer wieder Hinweise darauf, dass das Ausmaß von Antiziganismus im vergangenen Jahr zugenommen habe. Außerdem geht Ruiz davon aus, dass es ein „enormes Dunkelfeld“ gebe.

Betroffene sehen sich besonders mit verbaler Stereotypisierung konfrontiert, die knapp die Hälfte die Fälle (856) ausmacht. Vorfälle von Diskriminierung, also antiziganistisch motivierter Benachteiligung, wurden 666 Mal erfasst. Romani Rose vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sieht sich bestätigt, „dass die jahrhundertealten Klischees des Antiziganismus in der Mitte unserer Gesellschaft bis heute virulent sind“. Ein Bewusstseinswechsel habe sich „nur in Ansätzen“ vollzogen.

Bildung bildet den Schwerpunkt des diesjährigen Berichts

Dies zeige sich unter anderem im Kontakt mit Behörden, wo jeder fünfte Vorfall erfasst wurde (369). Insbesondere bei der Polizei würden Betroffene immer wieder eine Täter-Opfer-Umkehr erfahren.

Eine in Teilen feindselige Atmosphäre stellen die Ex­per­t*in­nen auch im Bildungsbereich fest, dem diesjährigen Schwerpunkt des Berichts. Hier wurden 313 Fälle registriert, in denen Kinder und Jugendliche von Mitschüler*innen, teils aber auch von Lehrkräften antiziganistisch diskriminiert wurden.

Es gebe jedoch auch positive Entwicklungen. Am 1. April hat ein Rechtshilfenetzwerk seine Arbeit aufgenommen, das unter anderem eine kostenlose juristische Erstberatung für Betroffene bietet. Zudem habe der Presserat in mehreren Fällen antiziganistische Berichterstattung missbilligt.

Ruiz begrüßte ausdrücklich, dass mit Michael Brand (CDU) nun doch ein neuer Antiziganismusbeauftragter benannt wurde. Es war zunächst unklar gewesen, ob das Amt wegfallen würde, nachdem die schwarz-rote Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hatte, die Zahl der Beauftragten zu halbieren.

Zu den Forderungen, die Mia an die Politik stellt, gehört, die Zukunft der Meldestelle zu sichern. Bisher ist die Finanzierung über 2025 hinaus nicht geklärt – über den Entwurf des Bundeshaushalts entscheidet am Dienstag das Kabinett. Die Verantwortung liege jedoch auch bei den Bundesländern: Bislang konnten sechs regionale Meldestellen etabliert werden – zuletzt in Schleswig-Holstein. „Wir hoffen, dass die anderen Bundesländer diesem Beispiel folgen“, sagte Ruiz.

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1 Kommentar

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  • Woher wissen die Leute überhaupt, dass es sich um Sinti und Roma handelt?