: Mutter und Kind in Blau
Mit der Einweihung von Jenny Holzers Leuchtschrift-Installation „For Paula Modersohn-Becker“ schlägt die Kunstsammlung Böttcherstraße eine Brücke zur Kunst der Gegenwart
Von Peter König
Für Rainer Stamm war gestern der bedeutendste Tag der fünf Jahre, die er bereits die Kunstsammlungen Böttcherstraße leitet. Denn gestern wurde in seinem Haus die Installation „For Paula Modersohn-Becker“ der renommierten Konzeptkünstlerin Jenny Holzer eingeweiht.
Die Amerikanerin hat sich mit leuchtenden Laufschrift-Installationen einen internationalen Namen gemacht. In Deutschland finden sich ihre Arbeiten an prominenter Stelle wie im Reichstag oder in der Hamburger Kunsthalle – und seit gestern auch in der Bremer Böttcherstraße. Dort eilt jetzt ein endloser Strom blau leuchtender Worte eine zwölf Meter hohe Stahlschiene herauf. Als Platz für ihre Installation hat Jenny Holzer das Treppenhaus im Paula-Modersohn-Becker-Museum gewählt.
Mit dem Ankauf dieser Arbeit sei das Museum „abgerundet und vollendet“, schwärmt Rainer Stamm. Jenny Holzers Werk sei die „dritte kostbare Säule“ der Böttcherstraße, neben dem Roselius-Haus und der Modersohn-Becker-Sammlung. Holzers Installation soll der Böttcherstraße aus dem vergangenen Jahrhundert den Anschluss an die Kunst der heutigen Zeit eröffnen. „Das Museum wird jetzt wieder, was es früher schon war – ein Zentrum für Gegenwartskunst“, sagte in seinem Grußwort Jürgen Oltmann, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Bremen, die den Erwerb des Holzer-Werkes unterstützt hat. Das Paula-Modersohn-Becker-Haus zeigte bei seiner Gründung 1927 die damals zeitgenössische Kunst – und es war das erste Museum, das dem Werk einer Frau gewidmet war.
Die Sache der Frau werde auch heute noch zu wenig in der bildenden Kunst thematisiert, davon ist Jenny Holzer überzeugt. Das Werk Paula Modersohn-Beckers sei ihr bereits während der Studienzeit begegnet, so die Künstlerin in ihrem kurzen Dankeswort. Mit dem Thema „Mutter und Kind“ haben sich beide in ihrer künstlerischen Arbeit intensiv beschäftigt – Paula Modersohn-Becker in ihren Gemälden und Jenny Holzer mit ihrem Text „Mother and child“, der jetzt in Bremen über die Leuchtschiene eilt. „Mother and child“ beschreibt die Gedanken und Gefühle, die Jenny Holzer nach der Geburt ihrer Tochter bewegten, die Angst vor dem Verlust des Kindes und vor Gewalt.
Der Text war zuerst 1990 bei der Biennale in Venedig zu sehen – damals noch in Rot und Gelb. Die blauen Leuchtdioden der Bremer Version wurden erst Mitte der Neunzigerjahre erfunden und von Jenny Holzer bald begeistert in ihren Arbeiten eingesetzt. Denn: „Die übliche rote Schrift behält immer ein wenig den Charakter von Werbung“, so die Künstlerin.
Blau sind die Bremer Buchstaben auch noch aus einem anderen Grund: Blaues Glas und blaues Licht finden sich in der Böttcherstraßen-Architektur Bernhard Hoetgers an vielen Stellen, so im Treppenhaus und im Himmelssaal des Hauses Atlantis. Dort sind blaue Glaskacheln ebenso regelmäßig im Raster angeordnet wie die blauen Leuchtdioden in Holzers Textstele.
Als reiche das noch nicht an Verbindungen tauchte aus den Tiefen des Archivs eine Patentschrift Hoetgers für eine „Einrichtung zur Vorführung von Bildern oder Schriften mittels Glühbirnen“ von 1929 auf. Praktisch realisierbar war das Verfahren damals jedoch nicht.
Jenny Holzers Worte bewegen sich unterschiedlich schnell durch die Böttcherstraße. Auch die Sprache wechselt zwischen Deutsch und Englisch. Und es kommen verschiedene Buchstabentypen zum Einsatz: Dürre Strichzeichen, Antiqua mit angedeuteten Serifen, auch auf den Umriss reduzierte Plakatbuchstaben, hinterlegt mit blauem Blinkfeuerwerk. Diese Varianz diene nur der Abwechslung, so Jenny Holzer: „Die Installation ist immer dort – da ist es gut, wenn sie anders aussieht, wenn man wann anders wieder mal hinkommt“. Auch könnten die verschiedenen Spielarten der Oberfläche dem Text selbst eine jeweils unterschiedliche emotionale Grundierung geben.
Von Stimmungen war viel die Rede bei der Einweihung von Jenny Holzers Installation. Stets besonders im Blickpunkt: das blaue Licht der Schrift, das auf das gesamte Treppenhaus ausstrahlt. Museumschef Rainer Stamm ist sich jedenfalls sicher: „Wenn es grau ist draußen und regnet, dann ist diese Installation der schönste Ort in ganz Bremen.“