Widerständig

Packend: Das Cameri Theater aus Tel Aviv bot Joshua Sobols „Eyewitness“ im Thalia in der Gaußstraße

Natürlich, das wäre ihnen am liebsten: Wenn er aus Geisterkrankheit widerständig wäre, wenn das, was er vorträgt, reine Schimären wären: Mit allen Mitteln wollen Freunde, Aufseher und Ärzte Franz – Wehrmachtsverweigerer und Protagonist von Joshua Sobols Eyewitness – bewegen, in die Uniform zu steigen. Durch emotionalen Druck und andere Manipulationsmethoden versucht sich die Gesellschaft von der Provokation zu befreien, die authentischer Widerstand für sie bedeutet.

Jedoch – qua Rhetorik fängt Franz sie alle: Als reines Sprechstück kam das Gastspiel des Chameri Theater aus Tel Aviv am 8. Mai im Thalia in der Gaußstraße daher, als ambivalentes Spiel mit der Wechselwirkung zwischen Akteuren und Publikum: Ob es den Zuschauern etwas ausmache, dass junge Israelis in Nazi-Uniformen spielten, wollten die Schauspieler im anschließenden Publikumsgespräch wissen. Um gleich darauf zu betonen, dass es nicht allein um die Nazi-Vergangenheit gehe: „Dies ist ein ganz allgemeines Stück über Zivilcourage“, betonte Sobol, dessen Stoff im authentischen Fall des österreichischen Bauern Franz Jägerstädter wurzelt, der 1943 aufgrund seiner Weigerung, in der Wehrmacht zu verbleiben, hingerichtet wurde.

Mit Logik schlägt Franz (Itay Tiran) in Eyewitness, das trotz choreographischer Kargheit anderthalb Stunden lang packt, sämtliche Gegner: Selbst den Pfarrer bringt er um die Argumente – und offenbart immer neu das Wahrnehmungsleck der Mitwisser: „Wohin fahren die Züge? In den Dörfern, durch die sie fahren, wissen alle Bescheid!“ Franz ist sicher; eine Antwort wird ihm nicht zuteil.

Ein auf Hebräisch präsentiertes Stück, das schillert zwischen Parabel und Dokument, zwischen Authentizität und Spiel. „Ich habe mal eine echte Nazi-Uniform getragen“, erzählt Tiran, Familie großteils in KZs ermordet wurde, später. „Das fühlte sich sehr anders an als unsere Schauspielerkostüme.“ Er sagt es ohne Dramatik und offenbart in Sekunden, dass sich die Vokabel „überholt“ nicht anbietet für Stück und Situation. Denn wer hat je von Franz Jägerstädter gehört? Schweigen. Die Zuschauer wissen es nicht. Und die Schauspieler, wie stehen sie zur Armee? „Wir haben fast alle Militärdienst geleistet“, sagt Tamar Keenan schnell. „Aber nur wenige von uns waren in den besetzten Gebieten.“ Petra Schellen