: Immer die Welt am Ball
Was alles an Menschen in Berlin zusammenkommt, spiegelt sich im Fußball
Von Martin Krauss
Eine genaue Statistik wird nicht geführt. Geschätzt gibt es etwas mehr als 40 Fußballvereine in Berlin, die als migrantisch gelten. Das sind etwa zehn Prozent aller Berliner Fußballklubs. Etwa 25 Vereine tragen türkische Namen. Am berühmtesten ist Türkiyemspor aus Kreuzberg, der beinahe mal in die Zweite Bundesliga aufgestiegen wäre. Aber das ist lange her: 1991. Aktuell am besten stehen Türkspor und Hilalspor da; sie kicken in der Berlin-Liga, das ist die sechste Klasse.
Ähnlich sieht es mit Vereinen aus, die in anderen Zuwanderer-Communitys entstanden sind. Viele arabische Vereine gibt es, etwa der nach einer Koransure benannte FC Al-Kauthar Berlin 1990 oder der palästinensische FC Karame, aber: Keiner von ihnen kickt in einer höheren Liga. Dieser Befund gilt genauso für polnische, kroatische, griechische, serbische Klubs. Die Einwanderungsgesellschaft hat zwar Einwandererfußball, aber ganz oben, in der Bundesliga, merkt man davon nichts. Da tauchen Kicker, deren Familien oder die selbst nach Deutschland eingewandert sind, nur in Trikots solcher Klubs auf, die sich als „normale Vereine“ verstehen.
Diese Selbstsicht geht einher mit der Vermutung, dass die migrantischen Klubs stören, zumindest potenziell stören könnten. Wenn ein kurdisches gegen ein türkisches oder ein kroatisches gegen ein serbisches Team antritt, ist in Zeitungen oder bei der Polizei von einem „Problemspiel“ die Rede. Dabei sehen sich viele Klubs gar nicht als Repräsentanten ihrer Herkunftsstaaten. Und nur wenige verweigern Spielern anderer Herkunft das Mitmachen.
Gewalt ist jedoch tatsächlich ein Problem des Fußballs. Der Berliner Fußballverband (BFV) hat für die Saison 2023/24, die vergangenen Sommer zu Ende ging, eine Studie in Auftrag gegeben: 1.020 Fälle von verbaler und physischer Gewalt sind in knapp 34.500 Saisonspielen vor das Sportgericht gekommen. Das ist etwa so viel wie in der Saison zuvor. 2019 hatten im Berliner Amateurfußball die Schiedsrichter gestreikt, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Doch Theresa Hoffmann, die für den BFV die Studie durchführte, sagte dem Tagesspiegel: „Die Tendenz ist, dass es keine neue Tendenz gibt.“ Kleine Schwankungen, aber insgesamt bleibe das Gewaltniveau gleich.
Migrationshintergrund spielt hier schon eine Rolle, sagen Sportsoziologen. Oft gehe es um Männlichkeitsbilder, um Faktoren wie Stolz, Verletztheit nach Zurücksetzung, auch eine eingeschränkte Fähigkeit zum verbalen Protest spiele eine Rolle. Und es geht um Anerkennung.
Was migrantische Vereine eint, ist ihr langer Kampf um Teilhabe. Noch in den 1980er-Jahren hießen sie offiziell „Ausländervereine“, die als „fremdkulturell motivierte Organisationszusammenhänge“ definiert wurden. Bis 1992 gab es etwa in Baden-Württemberg eine eigene „Jugoliga“, in der sogenannte Gastarbeiter spielten. „Ausländerklauseln“ sorgten nämlich für den Ausschluss von Migranten und Migrantinnen. Bis heute klagen migrantische Vereine, sie würden häufiger mit Strafen belegt und hätten oft Probleme, wenn es etwa um die Zuteilung von Trainingsplätzen geht.
Doch auch hier gilt: Eine genaue Statistik wird nicht geführt.
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