: Der Nahe Osten in Kreuzberg
VERSÖHNUNG In „Kaddisch für einen Freund“ von Leo Khasin wird von dem spannenden Verhältnis zwischen einem vierzehnjährigen Palästinenser und einem 84-jährigen russischen Juden erzählt, die in Berlin Nachbarn sind und sich zusammenraufen müssen
VON WILFRIED HIPPEN
Dieser Film ist fast schon zu politisch relevant. Seine Prämisse hört sich wie ein Beispielfall an, anhand dem dann kluge Diskussionen über die Situation von Emigranten in der Bundesrepublik und den Konflikt zwischen Palästinensern und Juden geführt werden können. Erzählt wird von dem vierzehnjährigen Ali, der in einem palästinensischen Flüchtlingslager aufgewachsen ist und nun in Berlin Kreuzberg lebt. Sein Nachbar ist der 84-jährige russische Jude Alexander, ein ideales Hassobjekt für Ali und seine arabische Jugendgang. Diese bringt ihn für eine Mutprobe dazu, bei Alexander einzubrechen. Nachdem die Jugendlichen dessen Wohnung verwüstet haben, wird Ali als einziger vom alten Mann erwischt.
Da ihm bei dem drohenden Ärger mit der Polizei die Abschiebung droht, muss er irgendwie Alexander dazu bewegen, seine Anzeige zurückzuziehen. Alexander hat Schwierigkeiten mit dem Sozialamt, das ihn in ein Altersheim stecken würde. Ein junger Mann, der ihm bei den alltäglichen Besorgungen helfen würde (nachdem er erst einmal die mit Hassparolen beschmierten Zimmerwände neu gestrichen hat), würde ihm da aus der Patsche helfen und so entsteht eine zuerst nur auf Ablehnung und Misstrauen basierende Zweckgemeinschaft zwischen den beiden. Der Film erzählt nun davon, wie sie sich zusammenraufen und der Titel verrät auch schon, ob diese Annäherung gelingt. Sympathisch an diesem Debütfilm ist, wie anrührend und intensiv Leo Khasin seine Kerngeschichte inszeniert. Kasin wurde 1973 in Moskau geboren und kam als Achtjähriger nach Deutschland. Er wurde durch ein Begegnung in einer Zahnarztpraxis inspiriert, bei der ein libanesischer Junge und ein russisch-jüdischer Rentner aneinandergerieten. Und immer dann,wenn er sich auf seine beiden Protagonisten konzentriert, ist sein Film sehenswert. Hier inszeniert er authentisch und es gelingt ihm, glaubwürdig den Prozess zu dramatisieren, der die beiden dazu bringt, ihre Vorurteile und religiösen Dogmen in Frage zu stellen und zu überwinden. Hierfür findet er einen ruhigen Erzählrhythmus, der den beiden Darstellern viel Freiraum bietet. Ryszard Ronczewski und Neil Belakhdar gelingt es, diese außergewöhnliche Freundschaft eben nicht wie eine politische Parabel, sondern wie eine gelebte Utopie wirken zu lassen, die nie die Bodenhaftung dieser beiden authentisch in ihren Kulturen geerdeten Figuren verliert.
Da verzeiht man gerne die dramaturgischen Ungeschicklichkeiten. Teilweise mäandert die Geschichte zu sehr zwischen den Milieus umher, und die Nebenfiguren wirken unausgegoren. So werden die arabischen Altersgenossen von Ali arg klischeehaft dargestellt (müssen sie unbedingt auch noch die blonden, deutschen Mädchen anpöbeln?), sein Vater ist zu eindimensional in seiner ständigen Wut und die deutschen Behördenmenschen sind genauso gezeichnet, wie man es erwartet. So ist dies kein durchgängig gelungener Film, aber es blitzten in ihm immer wieder Momente auf, bei denen Khasin sowohl mit dem Drehbuch wie auch bei der Inszenierung genau trifft, sodass man auf keinen Fall sagen kann, „Kaddisch für einen Freund“ sei besser gemeint als gemacht.