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Archiv-Artikel

Lippenstift und Kollektiv

BILDER Von der Kriegsniederlage Japans und seiner Modernisierung erzählt im Museum für Fotografie die Ausstellung „Die Metamorphose Japans nach dem Krieg“ mit Aufnahmen von 1945 bis 1964

Mit der Annahme, durch die Kamera vergewissere man sich einer gewissen Objektivität, begann die Fotokultur nach dem Krieg in Japan

VON RONALD BERG

Am Mittag des 15. August 1945, so berichtet Kurator Tsuguo Tada, erfuhr Hiroshi Hamaya aus den Nachrichten vom Ende des Krieges, rannte spontan aus dem Haus und richtete seine Kamera auf die Sonne am Himmel. Warum die Sonne? Nun, Japan war und ist das „Land der aufgehenden Sonne“ und die Sonnenscheibe prangt als Symbol des Landes bis heute auf der Nationalflagge.

Mit Hamayas Foto von einer weißen Sonne in einem abgrundtief schwarzen Himmel beginnt die Ausstellung über Japans erste 20 Jahre nach dem Krieg im Bilde der Fotografie. 123 Fotos von elf Fotografen sind zu sehen. Das Wort „Metamorphose“ im Titel der Schau deutet auf die fundamentalen Veränderungen, die Japan in diesem relativ kurzen Zeitraum durchlief.

Nach der verheerenden Niederlage war bei den Japanern das Bedürfnis stark, sich der eigenen Identität neu zu vergewissern. Die Fotografie schien dafür das prädestinierte Instrument, und der bald einsetzende Boom der Zeitungen, Magazine und Bücher lieferte die Medien, in denen sich die Japaner wiedererkennen wollten. Tsuguo Tada, über 40 Jahre im Verlagswesen Japans tätig (insbesondere für Kunst und Fotografie), war der richtige Mann für das von der Japan Foundation initiierte Projekt.

Hamayas Sonnenbild am Anfang der Schau erinnert übrigens fatal an Atombombenexplosionen, die Japan im Krieg gegen die USA schließlich in die Knie zwangen. Der Besucher kann das vor Ort in einer parallel laufenden Kabinettausstellung überprüfen. Die kleine Auswahl zeigt Aufnahmen von nuklearen Explosionen und deren Folgen. So fotografierte Yosuke Yamahata vier Tage nach Abwurf der Bombe in Nagasaki: Zu sehen ist nicht mehr viel außer buchstäblich am Boden zerstörten Menschen.

Auch die „Metamorphose“-Schau selbst beginnt mit Trümmern, die zeigt aber auch zu Waisen gewordene Straßenkinder, freigelassene Kriegsgefangene oder das Schlangestehen an der Rationierungsstelle. Einen ähnlichen Realismus der ersten Nachkriegszeit (nicht nur in der Fotografie) kennt man auch aus deutschen Landen.

Ebenso die einsetzende Modernisierung sprich Amerikanisierung, beginnend mit der Liaison mit den japanischen Fräuleins, der verkehrsregelnden MP und bald danach all den Segnungen des American Way of Life in Konsum, Business und Kultur. Zu Kimono und traditionellem Strohhut trägt die junge und hübsche Japanerin in den Fünfzigern bereits Lippenstift. Auf dem Land findet sich zur selben Zeit noch Urjapanisches. Genau deshalb gehen einige Fotografen in die Provinz, um verschwindendes Brauchtum und Alltagskultur festzuhalten, etwa das „ewige“ Setzen der Reisschößlinge durch schlammverschmierte Frauen oder das gemeinsame Bad nach der Erntearbeit mit rund drei Dutzend Menschen – ob jung, ob alt, ob Mann, ob Frau – im 8-Quadratmeter-Holzbottich.

1962 – nach einem rasanten, selbst das deutsche übertreffenden Wirtschaftswunder – fotografiert Yasuhiro Ishimoto einen erschöpft im Gras kauernden Japaner, die Flagge zwischen den abgestreiften Schuhen, ein Taschentuch auf dem Kopf. 1964 folgte die Olympiade in Tokio. Für die Ausstellung ein gewisser Abschluss der Wandlung Japans. Ein neues, modernes und friedliches Land präsentierte sich der Welt. Doch davon ist in der Ausstellung nichts zu sehen. Vielmehr richtet sich der Blick eher nach innen.

Auf dem letzten Bild der Ausstellung hockt ein Mann, seines Business-Outfits halb entledigt, auf einem hölzernen Gestell in freier Landschaft – fast wie ein Vogel. Sein Blick geht aus dem Bild, man weiß nicht, wohin. Eikoh Hosoes Szene visualisiert vielleicht so etwas wie einen Seelenzustand.

Mit der Annahme, durch die Kamera vergewissere man sich einer gewissen Objektivität, begann die Fotokultur nach dem Krieg in Japan. Nach zwei Jahrzehnten hatte sich die Fotografie zum Instrument des subjektiven Ausdrucks gewandelt. Subjektivität aber war in Japan bis dato etwas ziemlich Ungewöhnliches. Die Japaner hatten sich traditionell immer nur als Teil eines Kollektivs, einer Gruppe, eines Clans, einer Firma, einer Nation begriffen. Wie sich das verändert hat bis Mitte der Sechziger und die Modernisierung der Nation verinnerlicht worden war, das eben bezeugt die Fotografie.

■ Museum für Fotografie, Jebensstr. 2, Di. bis Sa. 10–18, Do. 10–22 Uhr. Bis 17. Juni