piwik no script img

Uneindeutigkeit hält die Gesellschaft nicht gut aus

Alexander Graeff spricht ausgehend von eigenen Erfahrungen über Bisexualität und die mit ihr verbundenen Vorurteile. Er denkt nicht im binären Entweder-oder, sondern in Spektren. Sein Buch kritisiert die Mehrheitsgesellschaft wie die queere Community

Von Michael Freckmann

Werden bisexuelle Menschen nicht eher selten diskriminiert? Ist ihre Emanzipation nicht längst abgeschlossen? Solchen Annahmen will Alexander Graeff mit seinem Buch „Das Spektrum erweitern. Warum wir über Bisexualität reden müssen“ etwas entgegensetzen. Sein kaum mehr als 50 Seiten langer Text platzt dabei fast aus den Nähten. So kommen neben Queer-Theorie und Statistiken zum Thema unter anderem Dracula, Freddie Mercury und der Filmklassiker „Brokeback Mountain“ vor.

Zunächst jedoch nimmt Graeff­ die Lesenden von einer rheinland-pfälzischen Kleinstadt mit in den Berliner Literaturbetrieb der 2000er Jahre. Dort wurde dem Autor schnell klar, dass er in einer anderen Form von Provinz gelandet war. Denn offen gegenüber bisexuellen Menschen trat man dort nicht gerade auf. In der Folge beleuchtet Graeff eine Reihe von Vorurteilen, die noch immer existieren: etwa, dass Bisexuelle unentschlossen seien oder nur in zwei Geschlechtern denken würden, dass Bisexualität „nur eine Phase“ sei.

Dabei will Graeff mit seinem Text selbst aus den Schubladen des binären Entweder-oder heraus. Er denkt in Spektren, in fließenden Übergängen. Der Autor argumentiert in seinem Text gegen jene, die nur die Geschlechter männlich und weiblich oder nur homo- und heterosexuelle Anziehung anerkennen. Bisexualität umfasse demnach jegliches Begehren, das nicht nur auf ein Geschlecht gerichtet sei. So begehre er selbst auch nicht Geschlechter, sondern „konkrete, individuelle Körper“, wie er schreibt.

Den Unwillen, in Spektren zu denken, wirft er auch Teilen der queeren Community vor, als deren Teil er sich sieht. So stört ihn die von ihm dort teils wahrgenommene „schwul-lesbische Dominanz“, bei der oft nur zwischen gleich- und gegengeschlechtlicher Perspektive unterschieden werde. Das Vorurteil, Bisexuelle seien gar nicht wirklich queer, schließe zudem bisexuelle Menschen aus. Graeff belegt dies alles zwar mit Beispielen, dennoch könnten solche Aussagen schon manche queere Person irritieren, welche die eigene Community gerade als Ort inklusiven Handelns sieht und auch dafür arbeitet.

Alexander Graeff: „Das Spektrum erweitern. Warum wir über Bisexualität reden müssen“. Querverlag, Berlin 2025, 64 Seiten, 8 Euro

Graeff weitet in seinem Text den Blick vom Begehren zwischen Personen auf Beziehungskonzepte. Er kritisiert, dass es zwischen Single-Dasein und Zweierbeziehung für viele nichts anderes gäbe, und spricht über seine polyamoren Beziehungen. Auch wenn dies wohl längst nicht auf alle bisexuellen Menschen zutrifft, ist es bereichernd, dass der Autor das ausführt. Es macht so die Komplexität der bisexuellen Community noch besser deutlich.

Der Text von Graeff zeigt aber ganz nebenbei auch auf, dass der Umgang vieler Menschen mit Bisexuellen sinnbildlich für eine gesellschaftliche Unfähigkeit steht, Uneindeutigkeiten auszuhalten. So werde Graeff in Begleitung einer Frau oft als heterosexuell eingeordnet, mit einem Mann als homosexuell. Kaum jedoch einmal als bisexuell. Wenn Graeff mit Blick auf Bisexualität Offenheit fordert und die Unmöglichkeit betont, jemanden aufgrund von Äußerlichkeiten beurteilen zu können, mahnt dies nicht nur zu rücksichtsvolleren Begegnungen mit bisexuellen Menschen. Es schärft auch den Blick dafür, wie schädlich ein vielerorts spürbarer Drang nach vorschnellem Urteilen in der Gesamtgesellschaft ist.

Alexander Graeffs Essay durchbricht Denkschablonen und provoziert. Er ist zugleich ein Plädoyer für mehr gegenseitige Sensibilität. Bisexuelle Menschen würden oftmals übersehen, beklagt Graeff. Seinem Text dürfte das nicht passieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen