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Schwerpunkt Ukraine

Das Linzer Filmfestival Crossing Europe gab sich mit 142 Filmbeiträgen aus 42 Ländern thematisch vielfältig und trotzig proeuropäisch

Mutter, Soldatin und Filmemacherin: Alissa Kowalenko in ihrem Film „My Dear Théo“ Foto: Crossing Europe

Von Florian Bayer

Linz ist kulturell vor allem für das ­Medienkunstfestival Ars Elec­tronica und das Internationale Brucknerfest über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt. 2009 war es Europäische Kulturhauptstadt, was die drittgrößte Stadt des Landes aber kaum nachhaltig geprägt hat. Allzu oft wird sie auf der Durchreise zwischen Wien und Salzburg links liegen gelassen – zu Unrecht.

Ein unterschätztes Kleinod ist das alljährliche Filmfestival Crossing Europe, das im Schatten der bekannteren Wiener ­Viennale und Grazer Diago­nale steht. Das Festival bietet seit 2004 eine hoch relevante Auswahl des europäischen Autorenfilms. Am Sonntag ging es nach sechs Tagen und 142 Spiel-, Dokumentar- sowie Kurzfilmen aus 42 Ländern zu Ende. Das Motto: „Don’t give up on ­Europe“.

Der hier formulierte Trotz und diese Hoffnung spiegeln sich auch in vielen Filmen wider. Ein Schwerpunkt ist der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der gleich in mehreren Werken verhandelt wird. Etwa im Eröffnungsfilm „My Dear Théo“, einer Art Videotagebuch von Filmemacherin Alissa Kowalenko, die sich freiwillig zur Landesverteidigung ­gemeldet hat. Zwischen harter Ausbildung, Eindrücken von der Front und liebevollen Videotelefonaten mit der Familie wird deutlich, wie drastisch sich alles von einem Moment zum nächsten geändert hat.

Einen ähnlichen und doch sehr anderen Zugang wählt „Pod wulkanem“ („Unter dem Vulkan“), ein polnischer Spielfilm, der aber formal und inhaltlich wie ein Dokumentarfilm wirkt. Er behandelt eine Familie aus Kyjiw, die im Teneriffa­urlaub vom russischen Überfall auf ihr Heimatland erfährt. Die Rückflüge sind gestrichen, stattdessen mitleidige Blicke im Hotel. Telefonate mit Freunden bringen insbesondere die Tochter zur Verzweiflung – nichts bleibt, wie es war.

Der ­Dokumentarfilm „Queensof Joy“ wiederum zeigt drei ukrainische Dragqueens während des russischen Angriffskriegs. Sie machen trotz allem weiter, sammeln Spenden für Kriegsversehrte, lassen sich ihren Lebensmut nicht nehmen. Der Film wurde mit einer „Special Mention“ der Jury gelobt.

Als bester Dokumentarfilm wurde „The Flats“ von ­Alessandra Celesia ausgezeichnet, der anhaltende ­Traumatisierungen aus dem Nordirlandkonflikt zum Thema hat. Der Hauptpreis Fiktion gingen an „Anul Nou care n-a fost“ („The New Year That Never Came“) über private wie politische Umwälzungen rund um die rumänische Revolution 1989.

Ein Highlight ist auch der Dokumentarfilm „Die Möllner Briefe“, der auf der Berlinale ­uraufgeführt wurde. Im Zentrum steht eine türkische Familie, die Opfer des Brandanschlags von 1992 wurde, im offiziellen Gedenken aber weitgehend vergessen worden war. Als durch einen Zufallsfund Aberhunderte Briefe der Anteilnahme aus ganz Deutschland auftauchen, die die Stadt jahrzehntelang weggesperrt hat, brechen sich drängende Fragen Bahn.

Was haben wir aus der Vergangenheit gelernt? Wie sieht echte Anteilnahme aus, wie Gleichgültigkeit? Wie kann man weiterleben nach dem Ungeheuerlichen? Klar ist: Die Täter dominierten damals die Schlagzeilen, über die Opfer sprach kaum jemand. Diese Tatsache hat Regisseurin Martina Priessner zum Film motiviert, wie sie beim ­Publikumsgespräch in Linz erzählt. Sie stellt in den Raum, dass ähnliche Geschichten höchstwahrscheinlich auch an anderen Schauplätzen rechter Gewalt erzählt werden ­könnten.

Bemerkenswert auch der Dokumentarfilm „Dialogpolisen“, der die 2020 in Schweden gegründete sogenannte Dialogpolizei in ihren Einsätzen begleitet, mal bei Klimaaktivisten, mal bei iranischen Politikern, die auf Regimegegner treffen, mal bei einem Islamhasser, der mit Koranverbrennungen in muslimischen Vierteln provoziert. Wie weit reicht die Meinungsfreiheit? Wo und wie zieht man die Grenzen? Und wie vermeidet man eine weitere Polarisierung der Gesellschaft? Die Dringlichkeit dieser Fragen wird im Alltag der nicht selten überforderten Einheit deutlich. Klare Antworten gibt es nicht.

Neben der durchdachten Kuratierung zeichnet vor allem die Zugewandtheit an das Publikum Crossing Europe aus. Das Festival ist niederschwellig und will Bubbles durchbrechen. Nach fast jeder Vorstellung stellen sich Filmemachende dem Dialog mit dem recht heterogenen Publikum. Das gelingt hier deutlich weniger verkrampft als andernorts.

Weitere Themen des Festivals sind eine sich veränderte Arbeitswelt, das lokale Filmschaffen oder Architektur. Man könnte kritisieren, dass der klare inhaltliche Fokus fehle, dass das Festival zu viel auf einmal wolle. Gerade die Vielfalt und Offenheit sind in Wahrheit aber seine Stärken. Ein derartiges filmisches Panoptikum über die relevanten Themen Europas wird man so schnell kaum irgendwo finden. Beruhigend zu wissen, dass in Zeiten sich leerender Fördertöpfe die Finanzierung auch weiterhin gesichert ist.

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