: Held der Basics
Niko Kovac hat Borussia Dortmund neue Disziplin und Sorgfalt vermittelt und damit alte Grundprobleme des Teams gelöst. Das 4:0 gegen den VfL Wolfsburg ist der bisherige Höhepunkt einer bemerkenswerten Entwicklung
Aus Dortmund Daniel Theweleit
Irgendwann in der Schlussphase der Partie des BVB gegen den VfL Wolfsburg ließ sich eine interessante Kontroverse zwischen Trainer Niko Kovac und Mittelfeldspieler Carney Chukwuemeka beobachten. Es stand bereits 4:0, die Partie war gewonnen. Zumindest für eine Nacht waren die Dortmunder auf den vierten Tabellenplatz gesprungen. Die Fans sangen ihr Lieblingslied vom Europapokal, als der Linksverteidiger Daniel Svensson nach einem Vorstoß noch nicht wieder auf seiner Position angekommen war.
Energisch forderte Kovac Chukwuemeka auf, den Raum des Kollegen zu überwachen, und zwar konsequent. Mitten im Wolfsburger Spielaufbau führten Trainer und Spieler ein Streitgespräch über zwei, drei Meter. Der Nigerianer leistete Widerstand, aber Kovac bestand darauf, dass sich Chukwuemeka nicht einmal diese kleine Nachlässigkeit erlaubte. Es war ein Disput von großer Symbolkraft: Beim BVB wird mit einer neuen Sorgfalt verteidigt, leichtfertige Risikomomente werden konsequent bekämpft. Es seien „die Basics, wo der Fußball anfängt“, sagte Pascal Groß später, „wir stehen im Moment sehr gut“.
Nach erledigter Arbeit ließen sich die Spieler sich feiern: für den schönen Sieg und die 16 Punkte, die sie in den letzten sechs Partien geholt haben. Serhou Guirassy hatte zwei Tore geschossen (3., 59.), genau wie der eingewechselte Karim Adeyemi (69., 73.). „Wir haben einen Lauf“, sagte Groß, dem eines seiner besten Spiele für den BVB gelungen war. Dahinter steckt eine bemerkenswerte Entwicklung, deren Ursachen immer klarer erkennbar werden.
Niko Kovac, der die Mannschaft Ende Januar von dem glücklosen Nuri Sahin übernommen hat, ist es gelungen, ein paar ziemlich alte Grundprobleme dieser Mannschaft zu lösen. Der 53 Jahre alte Kroate legt viel Wert auf Disziplin und stellt nicht die Profis mit den mächtigsten Kabinenstimmen auf, sondern die Spieler, deren Form ihm am besten gefällt. Am Samstag saß beispielsweise Emre Can auf der Bank, während vormalige Problemspieler wie Niklas Süle oder Ramy Bensebaini in der Dreierkette spielen durften. „Ich sehe eine große Gier und große Laufbereitschaft“, beschrieb Sportdirektor Sebastian Kehl die Folgen dieses Vorgehens.
Sportgeschäftsführer Lars Ricken hat zuletzt mehrfach die Entstehung einer gesunden „Leistungskultur“ angemahnt, die nicht zuletzt aufblüht, weil Kovac einerseits durchgreift, wenn kleine Egoismen und Disziplinlosigkeiten zur Belastung fürs Kollektiv werden. Zugleich dürfen die Spieler aber viel mitreden, wenn es um Trainingsgestaltung oder die taktische Ausrichtung für die Spiele geht.
Dass die Leistungskultur in der ersten Saisonhälfte Mängel aufwies, ist wohl das größte Versäumnis von Nuri Sahin. Jetzt wird auch dann noch intensiv gelaufen, gearbeitet und im Zweifel über zwei Meter gestritten, wenn es 4:0 steht. Auf dieser Basis ist ein Gebilde entstanden, in dem verschiedene Spieler zu den entscheidenden Figuren solcher Partien werden können.
„Jeder bietet Läufe in die Tiefe an, damit gibt es Lücken“, lautete Groß’ Erklärung für diesen Trend. „Wenn wir zu statisch spielen, ist man oft alleine.“ Die Grundidee ist schlicht: Sofern sich die Dortmunder in den Kategorien Intensität und Laufbereitschaft auf Augenhöhe mit ihren Gegnern befinden oder sogar besser sind, werden sie die meisten Spiele gewinnen. Weil sich dann die individuelle Qualität durchsetzt. Im Moment ist Borussia Dortmund tatsächlich wieder eine richtige Mannschaft.
Um diesen Zustand zu erreichen, hat Kovac aber nicht nur das zum Kader passende Dreierkettensystem eingeführt und Disziplin eingefordert, ihm sind geschickte Eingriffe ins labile psychische Befinden des Teams gelungen: „Viele haben mir vorgeworfen, dass ich alles rosarot sehe, dass ich nur positiv bin und alle lobe“, sagte er am Samstag im ZDF. „Aber das hat ja auch seinen Sinn gehabt. Wenn alle draufhauen und der Trainer auch draufhaut, dann gewinnen wir nichts. Mir hat mal einer gesagt: ‚Do the unexpected.‘ Und das habe ich in dem Fall getan.“
Getreu dieser Idee hat er kritische Überlegungen in den Vordergrund gestellt. Vor der Pause habe seine Mannschaft „zwar das Tor geschossen“, sagte Kovac, „aber wir haben keine Zweikämpfe gefunden, wir hatten keine Ballbesitzphasen, wir haben einfach nicht gut gespielt“. Längst ist klar, dass Kovac auch in der kommenden Saison Trainer ist, vielleicht sogar als Coach einer Champions-League-Mannschaft. Das war wahrlich nicht zu erwarten, als der BVB Mitte März auf den elften Tabellenplatz abgestürzt war.
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