: Lasche Regeln für Schiffsrecycling
Die Hongkong-Konvention soll Abwracken sicherer machen. Untergräbt sie aber stattdessen sogar bestehende Regelungen?

Von Phillipp Steiner
Das Hongkonger Übereinkommen zum Schiffsrecycling ist noch nicht einmal in Kraft, und schon jetzt fordern Menschenrechts- und Umweltschützer einen Reformprozess. Die Konvention soll die Bedingungen beim Abwracken ausgedienter Schiffe in Südasien verbessern. In ihrer jetzigen Form handle es sich aber um nichts anderes als Greenwashing, warnt Ingvild Jenssen von der Organisation Shipbreaking Platform.
Die von der Weltschifffahrtsorganisation IMO gesetzten Standards „segnen das toxische Business-as-usual auf den Stränden von Südasien ab“, so Jenssen, die Gründerin und Geschäftsführerin der NGO in Brüssel ist. Das Übereinkommen werde die beim Recycling verursachten Schäden nicht beenden. Es werde weiter „Verluste von Leben, Gliedmaßen, Existenzgrundlagen und Biodiversität“ geben.
Hintergrund der Konvention: Der Großteil der weltweit zu verschrottenden Schiffe landet in Südasien, in Indien, Pakistan und Bangladesch und wird dort in Handarbeit verschrottet. Arbeitsschutz spielt dabei keine Rolle, nicht nur deshalb ist es gesundheitsgefährdend, sondern auch weil die Umwelt verschmutzt und so Boden und Wasser belastet werden. Beim berüchtigten Beaching etwa werden die alten Fahrzeuge auf den Strand gefahren und dort zerlegt – dabei laufen schädliche Substanzen wie Öl und schwermetallverseuchte Flüssigkeiten aus, beim Schweißen entstehen giftige Dämpfe. Die meisten Substanzen werden nie genauer analysiert, gesundheitliche Folgen bis hin zu Krebs sind verbreitet.
Zuletzt meldete Shipbreaking Platform, 2024 seien in Südasien insgesamt neun Arbeiter beim Abwracken gestorben. Unter anderem kam es in Chattogram in Bangladesch während der Verschrottung eines Öltankers zu einer Explosion, die sechs Menschen tötete und sechs weitere schwer verletzte.
Am 26. Juni 2025 tritt nun das Hongkonger Übereinkommen über das sichere und umweltgerechte Recycling von Schiffen (abgekürzt HKC) in Kraft. Es wurde 2009 im Rahmen der IMO verabschiedet. Zu den Vertragsstaaten gehören unter anderen die Haupt-Recyclingländer Indien, Pakistan, Bangladesch und Türkei, wichtige Flaggenstaaten wie Liberia und Malta sowie Deutschland.
Laut Jenssen wird das HKC seinem Anspruch aber nicht gerecht. Der Begriff Beaching kommt im Vertrag zwar nicht vor. Dieser enthält aber Bestimmungen, dass beim Schiffsrecycling das Auslaufen von Flüssigkeiten und Emissionen, die Gesundheit oder Umwelt schaden können, zu vermeiden sind.
Trotzdem scheint die händische Verschrottung am Strand weiterhin möglich. Shipbreaking Platform hat herausgefunden, dass mehr als 100 Abwrackwerften in Südasien bereits sogenannte Konformitätsbescheinigungen erhalten haben. Darin steht, dass sie den Vertrag einhalten – obwohl sie Beaching betreiben. Jenssen meint, dass die Bestimmungen ignoriert würden und „die Schifffahrtsbranche vom Greenwashing von Beaching profitiert“.
Ferner fehlten diesen formal vertragskonformen Werften laut der NGO wichtige Bestimmungen zum Schutz der Arbeitenden wie beispielsweise die Bereitstellung von Schutzausrüstung und medizinische Versorgung. Investigativjournalisten und EU-Berichte hätten „schwerwiegende Probleme in Bezug auf die Arbeitnehmerrechte aufgezeigt“.
Auch dazu umfasst der Vertrag detaillierte Vorschriften: Abwrackwerften müssen demnach etwa für persönliche Ausrüstung wie Gesichtsschutz und Atemschutz sorgen und Sicherheitstrainings organisieren. Ein grundlegendes Versäumnis sei, kritisiert Shipbreaking Platform, dass der Vertrag „keine unabhängige Prüfung“ der Abwrackwerften verlange.
Jenssen beklagt auch fehlende Anforderungen zum Umgang mit Gefahrstoffen, sobald diese die Abwrackwerft verlassen haben. Exemplarisch führt sie an: Wenn ein Land akzeptiere, dass auf einem Schiff gefundene Asbestplatten weiter genutzt werden – und das sei Indien und Bangladesch der Fall –, stehe das HKC dem nicht entgegen.
Ingvild Jenssen, Shipbreaking Platform
Dem Hongkonger Übereinkommen stellt Jenssen die EU-Schiffsrecycling-Verordnung als strengeres Regelwerk gegenüber. Das europäische Gesetz von 2013 gilt auf der einen Seite zwar nur für Schiffe mit EU-Flagge, auf der anderen Seite aber weltweit in dem Sinne, dass sich auch außereuropäische Werften von der EU zertifizieren lassen können. Das ist zum Beispiel in der Türkei passiert, in Südasien noch nicht.
Shipbreaking Platform bilanziert: „Das Hongkonger Übereinkommen wird die Probleme, die es angehen sollte, nicht lösen, sondern stattdessen den Interessen von Schifffahrtsunternehmen dienen, die es weiter vermeiden wollen, die echten Kosten für nachhaltiges Schiffsrecycling zu zahlen.“ Damit drohe es, auch die Bemühungen um gleiche Wettbewerbsbedingungen für verantwortungsvolle Schiffsrecycler zu untergraben.
Jenssen sieht das Inkrafttreten des HKC in knapp acht Wochen daher nicht als Anlass zum Feiern, sondern für Reformen. Denn ab diesem Zeitpunkt seien wieder Änderungen am Text möglich.
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