: Völlig losgelöst von der Erde
„Grüße vom Mars“ begleitet den autistischen Tom, der seine Ferien bei den Großeltern in Schleswig-Holstein als Marsmission sieht. Heraus kommt ein einfühlsamer Familienfilm über Mut, Anderssein und Zusammenhalt

Von Wilfried Hippen
Der Protagonist dieses Films heißt nicht zufällig Tom, und das norddeutsche Dorf, in dem er seine Abenteuer erlebt, trägt den ebenso anspielungsreichen Namen Lunau. David Bowie und Tom Schilling lassen grüßen und für diesen „Major Tom“ ist die Reise in die schleswig-holsteinische Provinz genauso fantastisch, als würde er auf dem Mond landen. Denn der zehnjährige Junge, leidet an einer Autismus-Spektrum-Störung. Sein Leben mit seiner alleinerziehenden Mutter und seinen zwei Geschwistern ist aber erstaunlich gut organisiert. Alle wissen und respektieren die strengen Regeln und Rituale, die sein Leben bestimmen: Tom kann keine Berührungen ertragen, gerät in Panik, wenn er mit der Farbe Rot in Kontakt kommt, muss alle drei Stunden Wasser trinken und kann an keinem runden Tisch Platz nehmen. Seine Obsession ist die Raumfahrt, und da er durch seine Inselbegabung ein immenses Wissen in Astrophysik hat, träumt er davon, einmal als Astronaut auf den Mars zu fliegen.
So kann ihm seine Mutter, die für vier Wochen einen Job im fernen China angenommen hat, die Sommerferien bei den Großeltern auch als ein Training für die Reise in den Weltraum verkaufen. In einem Logbuch soll Tom alle Details der Reise aufzeichnen und die größeren Geschwister werden als Erster Offizier (weil hyperaktiv) und Funkerin (handysüchtig) rekrutiert.
Mit dem Satz: „Wenn du Oma und Opa schaffst, dann schaffst du auf jeden Fall auch den Mars“, spielt Toms Mutter ihre Trumpfkarte aus. Denn die Großeltern sind ein in fröhlichem Chaos lebendes Rentnerpaar, und der Film erzählt davon, wie Tom bei ihnen von roten Haustüren, nackt badenden Übergewichtigen und Dorfpolizist*innen, die ihn unbedingt anfassen wollen, geplagt wird. Außerdem bewegt sich ein Asteroid auf die Erde zu und als dieser verschwindet, ist Tom vielleicht der Einzige, der ihn wiederfinden kann.
„Grüße vom Mars“, Regie: Sarah Winkenstette, mit Theo Kretschmer, Lilli Lacher, Anton Noltensmeier, Hedi Kriegeskotte u. a.; Deutschland 2025, 85 Minuten. Der Film läuft ab Donnerstag in den Kinos
„Grüße vom Mars“ basiert auf dem gleichnamigen Kinderbuch von Sebastian Grusnick und Thomas Möller, und die Regisseurin Sarah Winkenstette hat es für ein Zielpublikum von schon etwas älteren Kindern inszeniert und dabei werden die Neun- bis Zwölfjährigen von ihr ernst genommen. So wird etwa der Unterschied zwischen einem Asteroiden und einem Kometen nicht erklärt, sondern als bekannt (oder googlewürdig) vorausgesetzt. Es gibt Requisiten wie Toms Raumanzug (mit zuklappbarem Helm), die viele Kinder sicher auch gerne unter ihren Weihnachtsbäumen hätten, und viel Spaß macht auch das Weltraummodell, das Tom aus Alltagsgegenständen wie Fahrradteilen, Christbaumkugeln und einem alten Tonbandgerät zusammenbastelt.
Die Fantasien von Tom werden in kurzen Zeichentricksequenzen sichtbar gemacht, in denen etwa der Familienbus sich auf der Hamburger Köhlbrandbrücke in eine startende Rakete verwandelt. Aber Winkenstette hat auch mit anspruchsvolleren Filmtricks gearbeitet, die man sonst eher in Genrefilmen für Erwachsene findet. So arbeitet sie viel mit einer subjektiven Kamera, versucht also, die Welt so zu zeigen, wie Tom sie sieht. Dabei hat der Kameramann Jakob Berger mit speziellen Linsen und Filtern gearbeitet, durch die das Filmbild voller diffuser Unschärfen ist, sodass man in diesen Momenten die Welt wie Tom als einen fremden, nur in Fragmenten erkennbaren Ort wahrnimmt.
Diese Zerrbilder sind aber nie so fremdartig, dass jüngere Kinder durch sie geängstigt werden könnten, und Tom ist immer im Schutzraum seiner Familie sicher aufgehoben. Der Film hat eine positive Grundatmosphäre, und es gelingt Sarah Winkenstette, die sich mit TV-Serien wie „Die Jungs-WG“ oder „Schloss Einstein“ und ihrem ersten Kinofilm „Zu weit weg“ auf Stoffe für Kinder und Jugendliche spezialisiert hat, das Idealbild einer Familie auf die Leinwand zu bringen, in der am Schluss die Großeltern, die Mutter und die drei Kinder als Helden dastehen. Und in einer Traumsequenz sieht man Tom dann auch tatsächlich in seinem Raumanzug im Weltall schweben: „völlig losgelöst von der Erde“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen