Wochenübersicht: Bühne : Esther Slevogt betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen
Das zwanzigste Jahrhundert hat Traumpaare gekannt, deren Liebe zur Versuchsanordnung wurde, die Beziehungen der Geschlechter neu zu definieren. Wallis Simpson und Edward Windsor, Simone de Beauvoir und Sartre. Auch Anais Nin und Henry Miller haben (Liebes-)Geschichte geschrieben. Vor allem, als sich noch Miller-Gattin June dazugesellte und man zu dritt Grenzen und Schnittpunkte von Eros, Macht, Literatur und Liebe neu zu vermessen suchte. Gut dokumentiert ist diese Ménage à trois im Briefwechsel zwischen Henry Miller und Anais Nin, der jetzt einer Tanztheater-Trilogie des Choreografen Bernhard Baumgarten zugrunde liegt. Nach der Luxemburger Premiere Ende Februar feierte die Kritik „Anais/Henry/June“ als eindringliches Werk von großer Sinnlichkeit.Doch individuelle Selbstbefreiung via Liebe ist nicht für jeden das ideale Modell. Wilhelm Ständer beispielsweise ist in Carl Sternheims Komödie „Tabula Rasa“ einen anderen Weg gegangen und schlägt sein Kapital aus scheinbar Unvereinbarem: Er ist als Arbeiter und Glasbläser ein glühender Sozialist und als heimlicher Aktionär der Glaswerke irgendwie auch sein eigener Arbeitgeber. Doch dann gerät sein ausgeklügeltes Sozialmodell ins Trudeln. Im Theater 89, wo man ganz gerne die Schattenseiten unserer kapitalistischen Nachwendewelt ausleuchtet, inszeniert jetzt Rudolf Kroloc diese Satire aus dem Jahr 1916.Die Volksbühne widmet sich der sozialen Frage auf globaler Ebene und legt noch einmal die „Ersatzstadt“ auf. Gastkurator ist diesmal der Londoner Architekturprofessor Nikolaus Hirsch, der von Fachkräften wie Gob Squad, Diedrich Diederichsen und Christian von Borries flankiert wird.Und im Theater unterm Dach hat Axel Sichrovsky Reden des 20. Jahrhunderts in Szene gesetzt: „Liberta – ein Ideencontainer“.