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Igittissima Italia!

Zerknickt, bespritzt und ausgeschwemmt: Ein neuer Trend höchst weich gekochter Pasta schwappt um die weite, weite Welt

Endlich eine geschmeidige Teigmasse vom Teller in den Mund! Foto: ap

Von Mark-Stefan Tietze

Ob in Spanien oder Dänemark, Korea oder Kanada: Weltweit entwickeln sich in den kulinarischen Hochkulturen die Techniken, Zutaten und Rezepte weiter. Auch die Kochkunst Italiens hält mit der Evolution Schritt, eilt ihr nun sogar voraus. Dazu ist es nötig, manch alten Zopf abzuschneiden! Eine neue Generation junger Köche begrüßt diese Feinabstimmung ausdrücklich und exekutiert sie mit Verve und Grandezza. Heraus kommt la nuova cucina italiana: die neue italienische Kutsche, vielleicht sogar Retourkutsche!

„Wir probieren in unserer Versuchsküche dauernd Neues“, freut sich Enzo Sperenzo, Besitzer eines Fünfsternerestaurants im kalabrischen Cataransa. „Immer auf der Suche nach dem nie da gewesenen Geschmackserlebnis, nach dem ultimativen Gaumenkitzel für unsere Gäste. Sesamöl statt extra ­vergine, Stinkfrucht statt Zucchiniblüten, solche Sachen halt.“ Einem der Küchenjungen seien dabei neulich die Spaghetti versehentlich entzweigebrochen, erzählt der Meister vergnügt. „Genau in der Mitte! Da brachen bei ihm alle Dämme: Er würzte das Kochwasser mit reichlich Speiseöl und schreckte die Pasta nach dem Kochen mit viel kaltem Wasser ab.“

Das Ergebnis war eine Sensation, ein nie da gewesenes Geschmackserlebnis – die Gäste leckten sich die Finger danach, wenn sie vorher frisch geriebenen Hartkäse draufgestreut hatten. Die Botschaft verbreitete sich unter Gourmets wie ein Buschfeuer, das Rezept pflanzte sich fort wie eine Welle der Erleichterung. Innerhalb von wenigen Wochen änderte sich Italien, brach der Widerstand zusammen. Gelobt von Sterneköchen, geliebt an nonnas altem Küchentisch, gesponsert von Barilla – alles spricht jetzt dafür, dass sich die neue Zubereitungsweise über die ganze Welt hinweg etabliert.

„Als Italiener“, erregt sich Giovanni Lampedusa, Besitzer eines alteingesessenen Dr.-­Oetker-Ristorante in Syrakus, „habe ich natürlich das Recht, Pasta kaputt zu machen und Öl ins Wasser zu gießen, wie ich lustig bin!“ Auch Abschreckung findet der heißblütige Patron im Alltag nicht schlecht, mittels Kopfschuss und notfalls auch mit kaltem Wasser. Er meint freilich, dass niemand so gut kocht wie seine mamma und jeder tot zusammenbrechen soll, der das nicht so sieht! Bis dahin könne sich der Rest der Welt gern an die neue Teigwarenzubereitung gewöhnen, die gewiss bald traditionell genannt werden müsse.

Nicht alle teilen diese Begeisterung. Manche gewöhnen sich erst langsam an die neuen Zeiten oder erinnern sich düster an die alten. „Igittissimo! Es war ein fürchterlicher Schock für mich“, keift Giuseppe Cantonelli, Beikoch im Dortmunder Feinschmeckerrestaurant ­Gondola D’Oro, „als ich den Deutschen erstmals beim Nudelkochen zuschaute, damals, in der Wirtschaftswunderzeit.“ In den frühen Siebzigern, als Cantonelli nach Deutschland kam, war nämlich das Kaputtbrechen, Einölen und Abschrecken von Nudeln völlig normal – in deutschen Küchen und Lokalen. Italienischer Stolz ließ Cantonelli darüber hinwegsehen und mit tausend anderen sein eigenes, italienisches Ding machen, das dann gastronomisch einen ­Siegeszug durch die teutonische Schnitzel-und-Currywurst-Wüste antrat.

Mit der derzeitigen Welle muss er allerdings ebenfalls mitschwimmen, um nicht pleitezugehen. Der Culinario ekelt sich zwar immer noch ein bisschen, ist aber jederzeit bereit, auf die Wünsche seiner betuchten Kunden einzugehen: „Wenn die ihre Pasta so haben wollen, können sie sie gern für 5 Euro Ekelaufschlag kriegen, prego!“ Er selber bittet um Verschwiegenheit, nascht allerdings auch ganz gerne mal ein paar weiche, fettige und lauwarme Spaghetti aus dem Nudelsieb, angeblich um sich an die sonderbare Textur und den abscheulichen Geschmack zu gewöhnen.

„Man muss mit der Zeit gehen“, zuckt er theatralisch mit den Achseln, „sonst kriegt man ein paar Betonschuhe angepasst und landet im Dortmund-Ems-Kanal.“ Dass die organisierte Kriminalität die neue Zubereitungsweise begrüßt, wie Cantonelli andeutet, ist ein offenes Geheimnis. Aber wer es in aller Öffentlichkeit lüftet, wandert ebenfalls in den Dortmund-Ems-Kanal.

Kulinarisch ist daran nichts auszusetzen. „Mir schmeckt es“, sagt Jan-Henrik D’Agostino, verwöhnter Spross deutsch-­italienischer Eltern. „Ich mag allerdings auch Fertigpesto und Industriemozzarella. Prego, ­signore e signori! Da setzt sich wohl die deutsche Seite durch.“ Zufällig durchs Bild laufende Passanten aus der Einkaufszone von Essen bestätigen: Die neuen Spaghetti finden überall pas­sio­nierte Freunde, nicht nur unter Kindern. „Und am nächsten Tag schmecken sie aufgewärmt noch mal so gut“, glaubt zum Beispiel Pietro Notte, Inhaber einer vatikanischen Wein- und Rosenkranzhandlung. „Wer das nicht erkennt, sollte von italienischer Lebensart die Finger lassen und bei seinen stinkenden Kohl- und Kartoffelgerichten bleiben. Amen!“

Nur Spießer und Ewiggestrige stellen sich dem Dreiklang aus gebrochener, eingeölter und ausgeschwemmter Pasta noch entgegen

Tatsächlich: Nur Spießer und Ewiggestrige stellen sich dem Dreiklang aus gebrochener, eingeölter und ausgeschwemmter Pasta noch entgegen. In den Gentrifikationsvierteln der deutschen Großstädte ist der Aufruhr daher groß. „Verrat!“, ruft man auch aus Feuilleton- und Foodbloggerkreisen: „Da könnte man ja gleich Ananas auf Pizza legen.“ Dabei ist die Wirklichkeit schon viel weiter. Enzo Sperenzo hockt nämlich in den Startlöchern hin zu einer wirklich(!) modernen italienischen Küche.

„Wichtig ist, die Soße erst auf dem Teller über die Nudeln zu geben. Und auf keinen Fall das stärkehaltige Nudelwasser zum Binden der Soße benutzen!“, schärft der Meister seinen Eleven ein, damit sie seine neuen Regeln verinnerlichen. Dabei haut er dem ein oder anderen, der nach wie vor instinktiv zu Hartweizen- statt zu Eiernudeln greift, mit dem Holzlöffel auf die Finger.

„Und als Nächstes geben wir zu unseren traditionellen Al-dente-Kochzeiten immer noch vier Minuten hinzu“, lacht er keck. „Dann erhalten wir statt dieses halb rohen Strohgestrüpps endlich eine geschmeidige Teigmasse auf dem Teller – so weich, wie sie die Nordeuropäer schon immer hinkriegen. Und dann machen wir Nudelsalat – mit Gürkchen, Mayo und Fleischwurst!“

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