: Der andere Blick
WEGWEISER Schulen sind auch soziale Brennpunkte. Sozialarbeiter können viele Probleme beheben. Aber es fehlt in Berlin an Kontinuität. Das liegt auch an der Budgetknappheit
VON OLE SCHULZ
Politik und Wissenschaft sind sich inzwischen weitgehend einig: Der Einsatz von Sozialarbeitern an Schulen hat sich als sinnvoll erwiesen und sollte weiter ausgebaut werden. Laut Kreuzbergs Jugendstadträtin Monika Herrmann (Grüne) ist es gerade gut, dass die Sozialarbeiter einen „außerschulischen Blick“ haben und damit die Sicht der Lehrer ergänzen.
Karlheinz Thimm, Professor für Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule Berlin (EHB), hält Schulsozialarbeit indes für vernünftig, weil sich dadurch junge Menschen mit Schulproblemen „niederschwellig“ erreichen ließen. Auch Thimm spricht davon, dass Sozialpädagogen im Vergleich zu den Lehrern eine „andere Brille“ aufhätten. Die enge Kooperation von Jugendhilfe und Schule sei vor allem notwendig, um an so genannte schuldistanzierte Jugendliche besser heranzukommen.
Bereits im Vorjahr hatte auch Heike Solga, Direktorin der Abteilung Ausbildung und Arbeitsmarkt am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), für eine Öffnung der Schulen plädiert: Nicht zuletzt weil viele Lehrer angesichts der neuen Aufgaben durch die Schulreform oft überfordert seien, sei der stärkere Einsatz weiterer Berufsgruppen am Lernort Schule angebracht – neben Sozialpädagogen sollten zum Beispiel auch „Berufsstarter“, die Jugendliche beim Übergang ins Berufsleben unterstützen, oder Meister, die ihre handwerklichen Fähigkeiten an die Schüler weitergeben können.
Die wichtigste Gruppe sind aber bislang zweifellos die Schulsozialarbeiter. 2012 gibt es allein im Programm „Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen“ an 251 Schulen Sozialarbeiterstellen, fast die Hälfte davon an Grundschulen. Dazu kommen jene Sozialpädagogen und Erzieher, die über die Jugendämter an Schulstationen an sozialen Brennpunkten angestellt sind.
Die Sozialarbeiter, die von öffentlichen oder freien Trägern in den Schulen eingesetzt werden, sind dabei überwiegend Sozialpädagogen, die an Fachhochschulen Soziale Arbeit studiert haben. Ihre Aufgaben sind mannigfaltig: Sie helfen zum Beispiel dabei, Jugendliche, die Konflikte mit Lehrern, Mitschülern oder Eltern haben, wieder in den Unterricht zu integrieren. Sie bilden Schüler zu „Konfliktlotsen“ aus, die Streitigkeiten schlichten, oder organisieren Freizeitangebote für die Schüler.
Für die Zukunft hält es Professor Thimm von der EHB für sinnvoll, dass „Regularien“ für die Sozialpädagogen an Schulen ausgearbeitet werden, um ihr Arbeitsfeld genauer zu umreißen als bislang.
Auch eine gezieltere Ausbildung der Schulsozialarbeiter hält Thimm für angebracht. Denn es werde ihnen im Berufsalltag ein „Breitbandspektrum“ an Kenntnissen und Fähigkeiten abverlangt, die sich in den „generalistischen“ Studiengängen für Sozialpädagogen kaum erwerben ließen. So hätten die Absolventen herkömmlicher Studiengänge für Soziale Arbeit zwar in der Regel die notwendigen Methoden drauf, es gehe aber auch darum, zu verstehen, wie der Apparat Schule funktioniere. Zudem müsse die „Kontaktarbeit mit Eltern“ stärker in den Fokus gerückt werden.
Bisher gibt es in Berlin aber keinen Studiengang für Schulsozialarbeit – der nächste befindet sich in Dresden, wo die Evangelische Hochschule (ehs) seit vergangenem Sommer das berufsbegleitende Weiterbildungsstudium „Soziale Arbeit und Schule“ anbietet.
Fortbildungen gibt es einstweilen in Berlin vor allem für jene, die bereits im Bereich Sozialarbeit an Schulen tätig sind; sie können sich am landeseigenen Sozialpädagogischen Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg (sfbb) weiterbilden lassen – in der Regel nach dem „Tandemprinzip“, bei dem jeweils ein Sozialpädagoge und ein Lehrer zusammen die systematische Kooperation von Jugendhilfe und Schule vorantreiben.
Das sfbb scheint den derzeitigen Qualifizierungsbedarf zu decken. So hat der private Bildungsträger „Procedo Berlin“ die mehrmonatige Weiterbildung „systemische Schulsozialarbeit“ für das laufende Jahr aus seinem Programm gestrichen, nachdem diese in den Jahren 2009 und 2010 noch sehr gut besucht, aber bereits 2011 nicht mehr ausgelastet war.
Von größerer Bedeutung als die Aus- und Fortbildung der Schulsozialarbeiter bleiben für die freien Träger allerdings Fragen nach Laufzeit und Finanzierung der Stellen. „In der Regel erhalten wir Verträge für ein Jahr“, sagt Brigitte Bollinger, Prokuristin beim freien Träger „tandem BQG“, der in zehn Berliner Bezirken rund 70 Sozialarbeiter an Schulen beschäftigt – überwiegend bezahlt durch das Programm „Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen“ sowie das „Bildungs- und Teilhabepaket“ (BuT) des Bundes, gelegentlich auch über bezirkliche Leistungsverträge sowie Fachleistungsstunden.
Zum Teil sind die Verträge aber auf wenige Monate befristet, was zu finanziellen Risiken für die Träger führen könne, so Bollinger, wenn die Kündigungsfristen für die Mitarbeiter länger seien als die zur Verfügung stehende Projektzeit. Erst „einheitliche Vertragsregelungen mit längeren Laufzeiten und einer kostendeckenden Finanzierung“ würden laut Bollinger „eine dringend benötigte Sicherheit in dieses Arbeitsfeld bringen“.
Auch Kreuzbergs grüne Jugendstadträtin Monika Herrmann fordert eine Regelfinanzierung und wünscht sich, dass zwei statt ein Sozialarbeiter pro Schule eingesetzt werden, auch an Gymnasien. Denn zum einen gebe es „genügend Arbeit“ für zwei Fachkräfte und zum anderen sei es sinnvoll, „damit im Krankheitsfall zumindest ein Sozialarbeiter vor Ort ist“.
Dass die Schulsozialarbeit in Berlin weiter aufgewertet werde, hält Herrmann nicht für unrealistisch. Allerdings bleibe abzuwarten, ob sich die neue, „engagierte“ Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) gegen Finanzsenator Nußbaum (parteilos) durchsetzen könne.
Am Ende ist und bleibt es „eine Frage der Prioritätensetzung“, so Herrmann, ob man die Schulsozialarbeit stärker fördern wolle oder ob man sich etwa die neue Landesbibliothek 400 statt der geplanten 250 Millionen Euro kosten lasse.