: Bilder gegen das Vergessen
Zum Neustart zeigt das Kunsthaus Göttingen Auschwitz-Fotos von Juergen Teller. Kurzzeitig war das Kunsthaus insolvent, nun startet es mit neuer Leitung neu. Aus Kostengründen wird dort vor allem Papierkunst zu sehen sein

Von Reimar Paul
Nach zwischenzeitlicher Insolvenz und mit neuer Leitung ist das Kunsthaus Göttingen mit einer Fotoausstellung über das Konzentrationslager Auschwitz wieder an den Start gegangen. Gut drei Monate nach Beginn des Insolvenzverfahrens läuft der Betrieb seit dem 27. März wieder. Das für mehrere Millionen errichtete und 2021 eröffnete Kunsthaus war im vergangenen Jahr in finanzielle Schieflage geraten.
Eine Rettung über eine Liquiditätsspritze der Stadt Göttingen war von einer Mehrheit im Stadtrat politisch nicht gewollt. Den Neuanfang stemmen soll nun eine aus Kostengründen aufs Nötigste reduzierte Mannschaft im Kunsthaus. Dem neuen Leitungsteam gehören der Göttinger Kunstbuchverleger Gerhard Steidl und der Geschäftsführer des Göttinger Literaturherbstes, Johannes-Peter Herberhold, an. Die Doppelspitze soll das Kunsthaus ehrenamtlich wieder in ruhigeres Fahrwasser führen. Beide zeichnen denn auch für das Programm verantwortlich. Demnach wird sich im Kunsthaus künftig vieles um Papierkunst drehen – Fotografie und Druck vor allem. Aufwendige Einbauten und Rahmen bleiben künftig außen vor, sagt Steidl. „Papier wird an den Wänden zu sehen sein.“
Darüber hinaus werben Steidl und Herberhold für das Kunsthaus auch als Bestandteil des Kunstquartiers in der südlichen Innenstadt. Der Kultur-Kiez mit Literaturhaus, Literarischem Zentrum und dem Verlag Steidl samt Künstlerateliers soll wachsen. Helfen müssen bei dem Neustart bessere Besucherzahlen. Rund 35.000 waren es insgesamt bei den bisherigen 14 Veranstaltungen – und das bei freiem Eintritt dank des Sponsors Sartorius, der dafür jährlich eine sechsstellige Summe bereitstellte. Die Gäste, viele von ihnen von auswärts angereist, sahen Kunst etwa von Roni Horn und William Kentridge, einen eigenen Pavillon des US-amerikanischen Pop-Art-Künstlers Jim Dine oder Videoinstallationen der Filmerin und Fotografin Mona Kuhn. Das Sponsoring samt Vertrag endete indes mit Beginn des Insolvenzverfahrens.
Die nun laufende Schau „Auschwitz-Birkenau“ mit Bildern von Juergen Teller wird bis zum 1. Juni im Kunsthaus gezeigt. 820 Fotografien sind in Göttingen zu sehen.
Juergen Teller, „Auschwitz Birkenau“, Steidl-Verlag Göttingen, 448 S., 820 Abb., 35 Euro, www.steidl.de; bis 1. 6., Kunsthaus Göttingen; kunsthaus-goettingen.de; Infos zum Begleitprogramm: t1p.de/zzpry
Kürzlich hatten Teller, seine Mitarbeiterin Dovile Drizyte und Steidl auf Einladung des Vizepräsidenten des Internationalen Auschwitz-Komitees, Christoph Heubner, Auschwitz und Birkenau bereist. Tagelang sei die Gruppe durch die Gedenkstätten gegangen, und Teller habe fotografiert, was er sah, berichtet Steidl: Baracken und Gleise, die ins Unendliche zu führen scheinen, Gaskammern und Latrinen, elektrische Zäune, Botschaften, Zeichnungen, Fotos und Nachrichten, die das Leben der Häftlinge und ihren Tod dokumentieren – aber auch Profanes wie Parkplatzschilder und Souvenirshops, Besucher und Busse.
„Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, wie man so etwas fotografieren kann – und ob überhaupt“, bekannte Teller am Tag der Eröffnung. Dann aber sei klar gewesen, „dass ich es machen will“. Persönliche Gründe führte er an, aber auch „die Möglichkeit, jüngeren Menschen zu zeigen, wie es dort ausschaut“. Nervös sei er vor dem KZ-Besuch im Dezember gewesen, sagt Teller. Dann habe er aber losgelegt „und einfach nur geschaut, intelligent angeschaut“ – und „angefangen zu fotografieren, was mir wichtig erscheint“.
Die Bilder entstanden den Angaben zufolge ohne Equipment, nur mit einem Mobiltelefon älterer Bauart. Manchen der Fotos hat Heubner Erinnerungen, Zitate und Eindrücke aus seinen jahrzehntelangen Begegnungen und Gesprächen mit Überlebenden des Lagers hinzugefügt.
Teller (Jahrgang 1964) ist international bekannt. Sein großer Durchbruch gelang ihm, als er 1991 die Band Nirvana auf einer Tournee begleitete und dabei die wohl intimsten Fotografien des schüchternen Frontmannes Kurt Cobain machte. Als ebenso einzigartig gilt Tellers Modefotografie der früheren 1990er-Jahre. Seine ungeschönten Porträts von Supermodels wie Kate Moss und Claudia Schiffer schockierten damals die Öffentlichkeit.
Tellers Fotos und Heubners Texte sind auch in dem Buch „Auschwitz-Birkenau“ enthalten, das jetzt, wie passend, im Steidl-Verlag erschienen ist. Im Herbst folgt im Kunsthaus eine Schau mit Fotos von Bryan Adams. Steidl hat auch schon Bildbände von Adams veröffentlicht.
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