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Detlef Diederichsen Böse MusikOb E oder U, vor allem geht’s ums Geld

Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich noch mal ernsthaft mit der Unterteilung von Musik in „Ernste Musik“ (kapitales E!) und „Unterhaltungsmusik“ auseinandersetzen würde. Zu sehr nach 20. Jahrhundert, alter BRD und leserbriefschreibenden pensionierten Honoratioren müffelt dieses Thema. Jetzt doch – die Gema ist Schuld. Wieder mal.

Und warum? Weil sie Schluss machen will! Schluss mit Besserstellung von E-Musik, Schluss mit Zuwendungen an E-Musik-Komponist*innen, Schluss mit „E“ generell – in Zukunft heißt es „KUK“ (für „Kunstmusik-Konzerte“). So will es zumindest Antrag 22a zur Gema-Mitgliederversammlung am 13.–15. Mai mit dem Thema „Reform der Kulturförderung“. Würde der Antrag angenommen, bedeutete das, dass es an die Pfründe der bislang in der Gema bessergestellten E-Musik-Urheber*innen geht.

Für BackstageClassical steht die Gema „vor der größten Reform ihrer Geschichte“. Und natürlich stößt diese Reform nicht bei allen Mitgliedern auf Begeisterung: Es „muss weiterhin unterschieden werden“, fordert der Komponist Helmut Lachenmann in der FAZ, denn „bei U und E geht es keinesfalls um dieselbe Art von ‚Dienstleistung‘. Im Falle U geht es in allen Varianten um den unverzichtbaren ‚Dienst‘ an der Lebensfreude. Im Falle E geht um die gleichermaßen unverzichtbare, letztlich aber schwierige und anspruchsvollere Erinnerung an unsere ästhetischen Bedürfnisse und Neugier als Teil unserer geistigen Versorgung“. Und in VAN legt Lachenmann nach: Komponisten der E-Musik „haben die von ihnen vorgefundene Musizier- und Schaffenspraxis weiterentwickelt, quasi strapaziert“ und „das Musik-Erlebnis nicht als unterhaltsame und eher unverbindliche, sicher genussvolle Begehung eines kollektiv vertrauten Raums, vielmehr als dessen Öffnung, und wie auch immer irritierend oder befreiend erlebte Erweiterung“ verstanden.

Dass spätestens seit den 1960er Jahren diese Erweiterungen auch und gerade in musikalischen Bereichen stattfinden, die aus der Popmusik hervorgegangen sind, dass es hier – wie auch im Jazz – eine breite Front experimentierender Mu­si­ke­r*in­nen gibt, die zu den Extratöpfen der E-Musik-Klasse keinen Zugang haben, ignoriert diese Position. Womöglich absichtlich, denn wenn der Inhalt der Töpfe auf mehr Köpfe verteilt wird, bleibt für den Einzelnen weniger.

„In den Genuss einer fairen Honorierung seiner Aufführungen kommt auch unter den klassischen Komponisten nur ein immer kleiner werdender, elitärer Kreis“, schreibt die Cellistin und Musikverlegerin Susanne Wohlleber in BackstageClassical. „Bis zur Einordnung eines Werkes in die Sparte ‚E‘ ist ein jahrelanger, bürokratischer, oft entwürdigender Kampf nötig, der nicht einmal die Aussicht auf Erfolg sicherstellt. Jedes bei der Gema angemeldete Werk landet erst einmal bei der ‚Unterhaltungsmusik‘ in der niedrigsten Einstufung. Wenn das Stück aufgeführt wurde, darf man den Antrag auf Werkeinstufung stellen (…). Nach Einsendung von Partituren, Aufnahmen etc. trifft der Gema-Werkausschuss dann eine (nicht selten abschlägige) Entscheidung.“

Detlef Diederichsen, Jour­nalist und Musiker, lebt in Hamburg.

Die Gema ist ein enorm komplexes Gebilde, ein Verein, in dem Mitglieder unterschiedliche Rechte haben, in dem es verschiedene Einstufungen gibt und in dem man sich wie in einem Videogame Belohnungen („Punkte“) verdienen kann. Ich möchte wetten, dass kei­n*e Ur­he­be­r*in den ganzen Gema-Kosmos wirklich durchschaut. Immerhin gibt es Mitglieder, die die Gema virtuos wie ein Instrument zu spielen verstehen (während eine große Mehrheit einfach die Dinge nimmt, wie sie sind).

Die Gema ist ­ein enorm komplexes Gebilde

Die Gema-internen Kämpfe wird Antrag 22a jedoch kaum beenden. Die Komplexität der Vorgänge scheint auch nicht geringer zu werden. Ob am Ende das neue Modell „gerechter“ ist? Oder mehr geile Musik entstehen lässt?

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