: Nicaraguas Bananenbauern im Hungerstreik
Jahrelang waren sie dem pestizidhaltigen Sprühmittel Nemagon ausgesetzt, jetzt kämpfen sie für eine Entschädigung
MANAGUA taz ■ „Ich werde mich zu Tode hungern“, sagt Genaro Martínez, ein 69-jähriger ehemaliger Bananenarbeiter aus der nicaraguanischen Provinz León. Gemeinsam mit 57 Leidensgefährten befindet er sich seit drei Wochen im Hungerstreik. Betroffen sind aber viel mehr: Fast 7.000 Menschen – so genannte Nemagon-Kranke – campieren in Managua nahe dem nicaraguanischen Parlamentsgebäude, um Entschädigung und eine angemessene Gesundheitsbetreuung zu fordern.
Nemagon – ein Pestizid, das in den 70er- und 80er-Jahren in den Bananenplantagen eingesetzt wurde zur Bekämpfung eines mikroskopisch kleinen Wurmes. Doch auch jene, die wie Genaro Martínez damals hier arbeiteten, wurden von dem aus Debromochloropropane (DBCP) hergestellten Nemagon schwer angegriffen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat DBCP inzwischen als „extrem gesundheitsschädlich“ klassifiziert. In den USA ist das Insektengift seit 1979 verboten. Doch während Dow Chemical oder Shell Oil ihre nemagonhaltigen Produkt in den USA vom Markt nahmen, setzen Firmen wie Del Monte oder Chiquita diese in Zentralamerika weiterhin ein.
Bei Genaro Martínez kündigte sich die Nemagon-Vergiftung mit Sehstörungen an. Jetzt plagen ihn Nierenschmerzen, manchmal kann er sich nicht bewegen. Etwa 67 Prozent der ehemaligen männlichen Plantagenarbeiter sind durch die Giftablagerung im Körper steril geworden. Frauen leiden unter unregelmäßiger Menstruation, Fehlgeburten sowie vermehrt auftretendem Gebärmutter- und Brustkrebs. Alle leben mit Kopf- und Gliederschmerzen, Sehverlust und einem erhöhten Nieren- und Magenkrebsrisiko. Experten schätzen, dass 22.000 an den Spätfolgen leiden. „Bei uns sind 17.500 Personen registriert“, sagt Jorge Ali Sánchez von der Vereinigung der Nemagon-Arbeiter. Bisher seien 927 gestorben.
Eine riesige Freifläche im Zentrum Managuas haben die Demonstranten in eine Plastikplanenlandschaft verwandelt. Zwischen den Bäumen sind tausende von Hängematten befestigt, die seit dem 2. März als Schlafstätten dienen. Zwölf Tage zuvor waren die Nemagon-Opfer nach Managua marschiert, um die Regierung unter Druck zu setzen. Die Demonstranten fordern die Bereitstellung von 227 Millionen Cordobas – etwa 11 Millionen Euro. Zudem soll der Spühmitteleinsatz per Gesetz verboten werden. Und sie fordern ein Entschädigungsgesetz, das medizinische Betreuung der Opfer sowie Pensionen für die Erkrankten vorsieht. Staatspräsident Enrique Bolaños fährt zwar täglich an den Protestierenden vorbei. Angehalten hat er aber noch nicht.
HANS-ULRICH DILLMANN