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ZeitgeschehenDer deutsche Robin Hood

Freiburger Gelehrte hätten gerne, dass ein Mönch aus ihrer Stadt das Schwarzpulver erfunden hat. In der Altstadt steht ein Denkmal Berthold Schwarz – doch bei der Inschrift stimmt überhaupt nichts.

Denkmal für Berthold Schwarz in Freiburg. Foto: Jörgens.mi, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=29531157

Von Minh Schredle

In einem Laboratorium voller Tiegel und Phiolen, umstellt mit Büchern ringsherum, „sitzt Bruder Berthold, eingewiegt // In grübelnde Gedanken“. So malte sich der Freiburger Schriftsteller August Schnelzer 1846 die Kulisse aus, in der alchemistische Experimente zu einer durchschlagenden Entdeckung geführt haben sollen:

Er sucht umsonst die Goldtinktur, / Es will ihm nicht gelingen / Dem Zaubermeister der Natur / Den Schlüssel abzuringen; / Er stampft im Mörser ämsiglich / Salpeter, Kohlen, Schwefel, / Und riefʼden Teufel gern zu sich, / Wärʼs nur kein solcher Frevel.

Nun schürt die Glut er wieder frisch, / Daß alle Funken spritzen, / Und einer springt in das Gemisch / Und plötzlich jagt mit Blitzen / Die Mörserkeulʼein Donnerschlag / An des Gewölbes Decken; / Geschleudert auf den Boden lag / Der Mönch im Todesschrecken.

Die Entdeckung des Sprengstoffs durch einen Arbeitsunfall: Von dieser Geschichte gibt es im deutschen Sprachraum unzählige Variationen.

Keine davon lässt sich belegen. Eine der frühesten überlieferten Darstellungen findet sich in Felix Hemmerlins „Über den Adel und die Bauernschaft“, entstanden um 1450. In dieser Version suchte der „Schwarze Berthold“ nicht nach einer Goldtinktur, sondern nach einer Methode, Quecksilber hammerfest zu machen. In Hemmerlins Worten, musste der Alchemist dazu zunächst dem Quecksilber seinen „Geist“ austreiben. Als dies misslang, „beschloss der Schwarze Berthold eine andere Prozedur. Geistreich, wie er war, kam er auf folgenden Gedanken, den ‚Geist‘ samt dem Quecksilber selbst zu vernichten: Er wusste, dass Gegensätze einander nicht dulden, und tat deshalb, um das Quecksilber ihrem Kampfe auszuliefern, den von Natur feurigen Schwefel und den kalten Salpeter mit dem Quecksilber in ein Gefäß aus Erz zusammen, verschloß dieses und setzte es dem Feuer aus.“

Da ein entzündeter Schwefel laut Hemmerlin nicht mehr neben kaltem Salpeter existieren kann, habe es die Büchse daraufhin unter einem furchtbaren Knall zerrissen. „Durch dieses Ereignis aufmerksam geworden, experimentierte Berthold weiter, er band starke Metallgefäße mit Eisen und wiederholte die obige Prozedur. Sie zerrißen und schlugen die Wände des Laboratoriums in Stücke.“ Doch Glück und Zufall allein reichen nicht aus, um groß herauszukommen: Berthold habe seine Prototypen schließlich weiterentwickelt „zu dem, was wir jetzt uneigentlich Büchsen nennen, und da er seine Erfindung von Tag zu Tag verbesserte, so kam es, daß sie alle früheren Kriegsinstrumente übertraf“.

Enthalten sind alle Kernelemente einer deutschen Erfolgsgeschichte: Fleiß und Erfindergeist als Grundlage für Innovationen, die die Welt verändern. Der Stolz auf die alle früheren Kriegsinstrumente überragenden Entdeckung veranlasste die Stadt Freiburg vor etwa 170 Jahren, eine Statue auf dem Marktplatz vor dem Alten Rathaus aufzustellen: Sie zeigt Berthold Schwarz in nachdenklicher Pose.

Leider falsch

Auf der Inschrift zur Statue heißt es: „Bertold Schwarz | Franziskaner Orden u. Doctor Alchimist | und Erfinder des Schießpulvers | errichtet im Jahre 1853 zum Gedächtnis“. Allerdings scheint fraglich, wie belastbar diese Angaben sind. Der Freiburger Chemiker Gehard W. Kramer (1922 bis 2001) urteilte in einer Abhandlung: „Ich muss dem Leser hier leider sagen, dass außer dem Wort ,Alchimist‘ (Chemiker) nichts auf der Tafel stimmt, weder der Name, noch der Franziskaner, weder der Doktor, noch die Erfindung des Pulvers.“ Kramer geht allerdings zumindest davon aus, dass es tatsächlich eine historische Figur gab, die der Sagengestalt Berthold Schwarz zugrunde liegt – doch sogar das ist in der Forschung umstritten.

So berichtete etwa „Deutschlandfunk Kultur“ 2008: „Die Erfindung des Schießpulvers wird dem deutschen Franziskanermönch Berthold Schwarz zugeschrieben. Mit bürgerlichem Namen hieß er Konstantin Anklitzen. Mehrere Orte (Mainz, Nürnberg, Goslar, Freiburg, Köln) streiten sich um die Ehre, Vaterstadt des Erfinders zu sein.“ Doch was hier als Tatsache dargestellt wird, ist keineswegs eindeutig. Den Berthold Schwarz als Konstantin Anklitzen will ein gewisser Heinrich Hansjakob (1837 bis 1916) identifiziert haben. Der war allerdings kein hauptberuflicher Historiker, sondern Pfarrer. Und gleich zu Beginn seiner „kritischen Untersuchung“ zur Herkunft des Schwarzpulvers beschreibt der Lokalpatriot seine Motivation recht unverblümt: „Je wichtiger des Franziskaners Erfindung ist, um so mehr muß jedem Freiburger daran liegen, den Erfinder, zu Ehren der Stadt, als Mitbürger bezeichnen zu können.“ Am Ende seiner 1891 abgeschlossenen Untersuchung kommt Hansjakob dann zum Ergebnis: Jawoll, der Schwarz war ein Freiburger und er hat das Schwarzpulver tatsächlich erfunden.

Die Sagengestalt: Grieche, Afrikaner oder Badener?

Die Beweisführung wird allerdings keinen wissenschaftlichen Standards gerecht. Hansjakob führt aus, dass „die Chinesen, welche heute noch alle Nationen an Feuerkünsten übertreffen, eine Art Pulver lange vor uns hatten, aber nicht zur Artillerie, sondern nur zur Spielerei zu benutzen verstanden“. Die Idee, mit Explosionskraft Projektile so stark zu beschleunigen, dass sie einen menschlichen Körper durchdringen, müssten aber laut dem Kirchenmann „zweifellos abendländische Mönche“ gehabt haben, weil ja sonst niemand gebildet gewesen sei. Hansjakob grenzt dann den Kreis auf drei mögliche Pulvermönche ein, schließt zwei von ihnen aus, also muss es wohl Schwarz gewesen sein. Dieser soll laut dem Landshuter Autoren Franz Helm „wegen der Kunst, die er erfunden und erdacht hat, gerichtet worden vom Leben zum Tod“ und zwar 1388. Hobbyhistoriker Hansjakob ist dann bei Recherchen auf den Freiburger Konstantin Anklitzen gestoßen, der wegen alchemistischer Umtriebe verfolgt wurde und schließlich 1388 in Prag hingerichtet wurde. Andere Quellen sind sich hingegen sicher, dass Berthold Schwarz in Wahrheit ein Grieche war oder vielleicht auch ein Afrikaner. Wieder andere bestreiten, dass es ihn überhaupt gab.

Dynamit-Erfinder hoffte auf Frieden durch Dynamit

Sicher ist inzwischen allerdings: Schwarzpulver und Feuerwaffen kommen nicht aus Baden. Die älteste erhaltene Feuerwaffe der Menschheit ist die Heilongjiang-Büchse aus dem Ort Pan-la-chhêng-tzu, sie ist spätestens auf das Jahr 1298 zu datieren. In deutschen Schriftquellen taucht das Schwarzpulver nicht vor 1330 auf. Dann zunächst in einem Rezept, das schnell lebensgefährlich wird, weil es rät, die Materialien gut zu trocknen, bevor sie im Mörser landen. Von Kundigen werden sie in der Regel feucht verarbeitet. Daher ist an dieser Stelle ein Verweis auf die mahnenden Worte des Schweizer Sprengstoffchemikers Alfred Stettbacher (1888 bis 1961) angebracht: „Wer nicht zum mindestens die chemischen Grundoperationen beherrscht, verzichte auf diesen Sport zur Selbstverstümmelung.“

Mit Blick auf das Leid, das Artillerie und immer zerstörerische Feuerwaffen in ihrer nicht einmal tausendjährigen Geschichte angerichtet haben, drängt die Frage, weswegen man überhaupt stolz darauf sein will, diese Erfindung in die Welt gesetzt zu haben. „Eine Erhöhung der tödlichen Präzision des Kriegsmaterials wird uns den Frieden nicht sichern“, sagte einmal der Dynamit-Erfinder Alfred Nobel (1833 bis 1896). Dummerweise hat er danach noch weitergeredet: „Es gibt nur ein Mittel der Abhilfe. Der Krieg muss so geführt werden, dass nicht nur der Soldat an der Front, sondern auch die Zivilbevölkerung in der Heimat von der Vernichtung bedroht wird. Lassen Sie das Damokles-Schwert über jedermanns Haupt schweben, meine Damen und Herren, und Sie werden Zeugen eines Wunders werden – jegliche kriegerische Handlung wird innerhalb kürzester Zeit eingestellt werden.“ Eine Prognose, die nicht so gut gealtert ist.

Künstlerseele August Schnezler hatte übrigens schon 1846 darauf hingewiesen, dass er mit seinem Gedicht über Berthold Schwarz eine „alte Sage“ vortragen will. Der Funke der Begeisterung für die morbide Erfindung, scheint nicht so recht auf ihn überzuspringen. Schnezler schildert, wie sich Scharen von Kriegern bei Schlachten Blitz um Blitz entgegen knallen, „todesröchelnd fallen sie“ vom Kugelregen niedergestreckt. Und dem Ordensbruder winkt am Ende der größte Nutznießer zu:

Da schritt der Tod im Riesengang / Das Leichenfeld hinüber, / Die Sense triumphierend schwang / Nach Berthold er herüber / Und rief ihm zu: „Wie bin ich dir, / O Mönch! so sehr verbunden, / Daß du ein solches Elixir / Zu meinen Diensten erfunden!“

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