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Getanzte Töne

Die Musik der Komponistin Ursula Mamlok kehrt nach Berlin zurück

Klangkosmos in Bewegung: Das New Chamber Ballet aus New York tanzt Ursula Mamlok Foto: New Chamber Ballet/Arnaud Falchier

Von Anna Schors

Mit nur 17 Jahren muss Ursula Mamlok allein auf einem großen Schiff gestanden haben. Vor ihr der weite Ozean und die Hoffnung auf ein neues Leben. Vielleicht hat sie fieberhaft Worte in einer fremden Sprache geübt, so wie sie ihr die Eltern eingebläut haben: „Are you my uncle?“ Ein entfernter Verwandter musste sie im New Yorker Hafen vom Schiff abholen, sonst wäre sie als Migrantin auf Ellis Island interniert worden.

Für die junge Musikerin Ursula, die 1941 an der Mannes School of Music ein Kompositionsstudium antrat, war dies schon die zweite Ozean­überquerung. 1939 war sie mit ihren Eltern aus der Berliner Heimat vor der Judenverfolgung der Nazis nach Ecuador geflohen. Bis dahin hatte sie noch regelmäßig Konzerte in der alten Philharmonie besucht, doch mit der Reichspogromnacht wurde klar: Juden waren in Deutschland nicht sicher. Mitnehmen konnte die Familie nur das Nötigste – und Ursulas geliebtes Klavier.

Das Haus in der Charlottenburger Schillerstraße 12, in dem sie als Kind lebte und ihre ersten Musik­stücke erdachte, steht noch heute. An ihre Großmutter Erika Goldberg, die 1942 im Vernichtungslager Treblinka ermordet wurde, gedenkt in der Sebastianstraße 16 in Mitte ein Stolperstein. 2023 wurde eine Grünfläche in Schöneberg auf den Namen Ursula-Mamlok-Park getauft; der Nachlass der Komponistin wird im Archiv der Akademie der Künste aufbewahrt.

Nun präsentiert das Berliner Konzerthaus am 9. April gemeinsam mit der Dwight und Ursula Mamlok-Stiftung eine Hommage an die Komponistin unter dem Titel „Aphorisms“. Das Besondere: Sechs Tän­ze­r:in­nen des New Yorker New Chamber Ballet übersetzen Mamloks Klangkosmos in Bewegung. Dabei werden sie von vier Mu­si­ke­r:in­nen begleitet. Das Publikum sitzt direkt um sie herum.

Choreograph Miro Magloire, der ursprünglich Komposition studierte, berichtet: „Ich kannte Mamlok aus der New Yorker Neue-Musik-Szene, hatte ihre Musik aber nie für meine Ballette auf dem Radar.“ Erst ein ehemaliger Kollege Mamloks, der Komponist Reiko Füting, habe ihm nahegelegt, doch mal Musik von Mamlok zu choreographieren. „Ich war nicht sofort überzeugt, aber er ließ nicht locker. Da wurde mir klar, dass da was sehr Spezielles ist: Diese eigenwillige Kombination von extremer Knappheit und warmem lyrischem Ausdruck, ein bisschen so, als hätte man Alban Berg mit Anton Webern multipliziert. “

Auch die Sängerin des Abends, Sopranistin Rachel Fenlon, kann sich Mamloks Musik nicht entziehen: „Ich habe sie erst 2021 entdeckt und mich gewundert, dass ich von dieser tollen Komponistin noch nie etwas gehört hatte!“ Ihr persönlicher Favorit ist „Haiku“, ein intimes kammermusikalisches Stück für Flöte und Stimme: „Beide spielen immer genau einen Halbton versetzt. Das führt zu starken Dissonanzen und einem extremen Obertonreichtum. Das ist unglaublich schwer zu singen, aber der Klang, den sie erschafft, ist etwas, das ich so noch nie gehört habe.“

Dank einer Mischung aus Zielstrebigkeit, Talent und einem Quäntchen Glück stieg Mamlok in den USA nach Beendigung ihres Studiums zu einer angesehenen Komponistin auf. Renommierte Interpreten wie die San Francisco Symphony führten ihre Werke auf, an der Manhattan School of Music lehrte sie als Professorin. 2006 kehrte sie überraschend nach Berlin zurück und bezog die Altersresidenz Tertianum gegenüber vom KaDeWe. Eine späte Versöhnung mit der Vergangenheit? Wohl kaum. „Meine Wurzeln sind beschädigt“, erklärte Ursula Mamlok damals entschieden: „Meine Heimat ist die Musik.“

In ihrer Musik schwingt auch ein gewisses Savoir-vivre mit

„Aber sie hat schon gemerkt, dass man sich in Deutschland für ihre Musik begeistert“, erklärt Musik­wissenschaftlerin Bettina Brand, die sich heute in der Dwight und Ursula Mamlok-Stiftung für Mamloks Musik einsetzt. Sie erinnert sich an Ursula Mamlok als ehrgeizigen und lebensfrohen Genussmenschen: „Ich sehe sie noch vor mir, wie sie zwei Monate vor ihrem Tod im Jahr 2016 im Rollstuhl in der Sonne sitzt und ein Riesenstück Torte verzehrt.“

Auch in Mamloks Musik schwingt ein gewisses Savoir-vivre mit. Zwar wirken auch in ihr die kopflastigen Kompositionsstile der Nachkriegszeit – sie experimentierte mit Atonalität und Zwölftonreihen – doch ihre Tonsprache ist dabei stets frisch, sinnlich und ideenreich: „Es gibt Werke, die sind wirklich witzig“, meint Brand. „Doch es gibt auch Stücke, aus denen eine große Trauer spricht. Das hätte sie allerdings nie zugegeben.“ Und doch waren es die Kontraste, die Mamlok wichtig gewesen seien: „Ihr größter Horror war es, das Publikum könnte sich langweilen.“

„Aphorisms“, New Chamber Ballett New York im Konzerthaus Berlin, 9. April , 20 Uhr

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