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Archiv-Artikel

Neuer Sonntagsredner im Amt

KÜR Mit 991 von 1.282 Stimmen wählt die Bundesversammlung Joachim Gauck zum neuen Staatsoberhaupt. „Was für ein schöner Sonntag“, beginnt Gauck seine Rede und erinnert an die erste freie Wahl in der DDR

BERLIN taz | Um 14.24 Uhr ist es so weit. „Herr Präsident, ich nehme die Wahl an“, sagt Joachim Gauck. Zuvor hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert das Wahlergebnis verkündet: Von den abgegebenen 1.282 gültigen Stimmen hatten im ersten Wahlgang 991 für Joachim Gauck votiert. Das entspricht etwa 80 Prozent. Damit ist Gauck der dritte Bundespräsident binnen vier Jahren und – wenn diesmal alles läuft wie geplant – bis zum 18. März 2017 Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland.

Bei der Abstimmung hatten sich 108 Delegierte enthalten. Für Beate Klarsfeld, die Kandidatin der Linksfraktion, votierten 126 Wahlleute – das waren drei Stimmen mehr, als die Linke Wahlleute entsandt hatte. Für den NPD-Kandidaten Olaf Rose stimmten drei Delegierte.

„Was für ein schöner Sonntag“, sagte Joachim Gauck in einer kurzen Rede. Er erinnerte damit an den 18. März 1990. Damals wählten die DDR-Bürger erstmals frei, gleich und geheim ihr Parlament, die Volkskammer. Er habe damals, so Gauck mit kippelnder Stimme, in „diesem grauen, gedemütigten Land gewusst, wir würden jetzt Europa sein“. Und er habe sich geschworen: „Ich werde niemals, niemals eine Wahl versäumen.“ Er habe damals gespürt, dass aus dem Glück der Befreiung die Pflicht, aber auch das Glück der Verantwortung erwachsen müsse. Ohne die Praxis der Verantwortung könne er sich Deutschland heute nicht vorstellen. Er, Gauck, sage zu seiner Verantwortung „mit all meinen Kräften und meinem Herzen Ja“. Ganz sicher werde er nicht alle in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen, er werde sich aber „neu einlassen auf Themen“.

Dass 108 Delegierte der Bundesversammlung sich ihrer Stimme enthalten und damit Gauck ihre Zustimmung verwehrt haben, habe ihn nicht enttäuscht, sagte Gauck am Sonntagnachmittag. Er sei nun mal ein Mensch „mit Ecken und Kanten“. Das Ergebnis sei für ihn ein Ansporn, „noch einmal deutlicher zu machen, zum Beispiel was ich unter Freiheit verstehe“.

Die Sozialdemokraten vermuten die Enthaltungen im Unions-Lager. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, die hohe Zahl zeige, dass sich Union und FDP bei Weitem nicht einig seien, weder bei dieser noch in anderen Fragen.

Erstmals schickte die Piratenpartei zwei Wahlleute in die Bundesversammlung. Beide, Katja Dathe und Martin Delius, haben sich eigenen Angaben zufolge enthalten. Die Berliner Dathe sagte: „Ich hätte mir einen Kandidaten gewünscht, der tatsächlich mehr die Probleme der Zukunft für sich behandelt oder einfach versucht, mehr nach vorne zu denken.“

Zu den ersten Gratulanten Gaucks gehörte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die CDU-Chefin hatte zunächst einen anderen Kandidaten für das Amt gewollt, sich aber auf Drängen des Koalitionspartners FDP für Gauck entschieden. Merkel zeigte sich dennoch erfreut über das Wahlergebnis. Sie sagte, der neue Bundespräsident sei „Manns genug“, sich auch Kritik zu stellen, die in den vergangenen Wochen an seiner Person geäußert wurde. ANJA MAIER

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